22.03.1998

Innere Sicherheit in der Bürgergesellschaft – Im Zweifel für die Freiheit


Einleitung

Die Bedrohung der Inneren Sicherheit wird von der Bevölkerung neben der Arbeitslosigkeit als eines der drängendsten Probleme unserer Zeit empfunden. Viele Bürger fühlen sich in ihrem eigenen Lebensraum nicht mehr sicher. Die Politik darf sich diesen Ängsten nicht verschließen, sondern muß den Bürger ernst nehmen.

Zu Recht erwartet der Bürger vom Staat Schutz vor Kriminalität: Es ist originäre Aufgabe des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. Der Staat übt darin die ihm eigene Macht aus. Dabei ist er aber kontrolliert durch das Recht. Die so begrenzte Staatsmacht ist das Wesen des Rechtsstaats. Das Recht setzt der Staatsgewalt die objektive Grenze der Verhältnismäßigkeit. Deshalb sind subjektiven Bedrohungsängste der Bürger eine Herausforderung für den liberalen Rechtsstaat. Denn die Diskrepanz zwischen dem subjektivem Unsicherheitsgefühl und der tatsächlichen objektiven Bedrohung ist frappierend.

Die Kriminalitätsrate insgesamt ist nicht gestiegen, trotzdem meint der Bürger, in seinem Umfeld so bedroht zu sein wie nie zuvor. Auch das Potential an Gewaltkriminalität ist nicht gestiegen. Eine Ausnahme bilden Jugendliche und Heranwachsende. Doch sind sie entgegen weitverbreiteter Vorstellung nicht nur verstärkt Täter, sondern in gleichem Maße auch verstärkt die Opfer. Seit dem Fall der Mauer hat sich die Zahl der tatverdächtigen jungen Räuber verdoppelt, die Zahl jugendlicher Raubopfer hingegen verdreifacht. Insbesondere in Baden-Württemberg ist die Kriminalitätsrate niedrig, die Aufklärungsrate hoch, trotzdem ist die Kriminalitätsfurcht mancher Bürger unverhältnismäßig groß.

Das subjektive Unsicherheitsgefühl der Bürger wird bewußt erzeugt. Als Hauptverantwortliche für übersteigerte Kriminalitätsfurcht sind die Gefälligkeitspolitiker der großen Volksparteien zu nennen. Wer als Rechtfertigung für schärfere Gesetze und hartes Durchgreifen überzogen negative Lagedarstellungen propagiert, trägt in verantwortungsloser Weise dazu bei, daß die Kriminalitätsfurcht größer wird, als die tatsächliche Lage es rechtfertigt. Das subjektive Unsicherheitsgefühl mancher Bürger wird zusätzlich verstärkt durch Medien, die die Äußerungen dieser Gefälligkeitspolitiker ungeprüft übernehmen.

Die beginnende Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft wird aber die Sicherheitsbedürfnisse einiger Bürger verstärken: Je mehr die Bürger wieder Eigenverantwortung übernehmen müssen, desto schutzloser werden sich manche fühlen. In der freien Bürgergesellschaft werden die Sicherheitsbedürfnisse mancher Bürger somit stets den Möglichkeiten vorauseilen, sie zu befriedigen. Denn in der freien Bürgergesellschaft ist die Innere Sicherheit ein naturgemäß nicht ausreichend vorhandenes Gut. In einer freien Gesellschaft kann es totale Sicherheit per definitionem nicht geben. Totale Sicherheit gibt es allenfalls im Überwachungsstaat. Den Bürger ernst nehmen, kann also heißen: übersteigerte Kriminalitätsfurcht durch populistische Forderungen weiter zu schüren. Den Bürger ernst nehmen bedeutet aber für Liberale: in erster Linie das objektiv Notwendige zur Kriminalitätsbekämpfung tun und Ursachen statt Symptome bekämpfen, sprich: gerade keine Gefälligkeitspolitik betreiben. Verantwortungsvolle Politik heißt: objektive Aufklärung und Information des Bürgers. Wem hingegen der Mut fehlt, dadurch in der Innen- und Rechtspolitik auch Unpopuläres zu formulieren, der läuft Gefahr, Mittäter bei unverhältnismäßigen Beschneidungen der Freiheit zu werden. Die Frage der Inneren Sicherheit ist eine Grundfrage im Verhältnis von Staat und Bürger. Behandelt der Staat jeden seiner Bürger als potentiellen Täter, so wird der Bürger dem Staat für dieses grundsätzliche Mißtrauen ein eben solches Mißtrauen entgegenbringen.

Für Liberale ergibt sich daher die unbedingte Verpflichtung, jedweden gesetzgeberischen Aktionismus im Bereich der Inneren Sicherheit zu vermeiden. Die konsequente Anwendung bestehender Gesetze unter strenger Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien und die Überprüfung von deren Wirksamkeit hat unbedingten Vorrang vor der Schaffung neuer Gesetze.

Vor Erlaß jeder neuen Regelung ist zu prüfen, ob die subjektiv empfundene Bedrohung tatsächlich der objektiven Bedrohung entspricht. In einem zweiten Schritt ist jedes neue Gesetz streng daraufhin zu untersuchen, ob es zur Bekämpfung der Kriminalität wirklich tauglich ist. Denn auf dem Spiel steht nicht weniger als die Freiheit des einzelnen. Auf Kosten der Freiheit aber dürfen rein subjektive Bedrohungsgefühle nicht bedient werden. Denn für Liberale gilt: im Zweifel für die Freiheit!


Ursachen der Kriminalität

Den Bürger ernst nehmen bedeutet aber für Liberale: in erster Linie das objektiv Notwendige zur Kriminalitätsbekämpfung tun und besonders Ursachen statt ausschließlich bekämpfen. Die Ursachen der gegenwärtigen Kriminalitätsentwicklung sind vielschichtig. Es kristallisieren sich aber Hauptansatzpunkte liberaler Kriminalitätsbekämpfung heraus.

Die immer extremere Ungleichheit in der Einkommensverteilung und insbesondere die zunehmende Zahl armer Familien und jugendlicher Sozialhilfeempfänger in Verbindung mit der stetig ansteigenden Arbeitslosigkeit haben großen Anteil an der Kriminalitätsentwicklung. In den großen Städten kommt es durch fehlgesteuerten sozialen Wohnungsbau zur Ghettoisierung ganzer Viertel. Keine Gesellschaft kann dauerhaft den Ausschluß einer Vielzahl von Menschen ertragen. Die zugespitzte Konfrontation zwischen denen „drinnen“ und denen „draußen“ wird zum unerträglichen Konflikt, an dem die liberale Bürgergesellschaft zu zerbrechen droht.

Überdies wird die Armut immer jünger und erfaßt über die Familien immer mehr Jugendliche. Zwischen 1987 und 1993 hat hierzulande die Zahl der Sozialhilfeempfänger vor allem unter Jugendlichen um fast 60% zugenommen. In Großstädten wie Hamburg lebt inzwischen jeder sechste 15 – 18-Jährige von der Sozialhilfe. Auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft.

So sind verstärkt Jugendliche vermehrt gewaltbereite Täter, aber auch die Opfer. Seit den 80er Jahren hat sich die Zahl der Gewalttaten junger Mensch verdoppelt. Allgemeinverbindliche Deutungen darüber, wie ein (junger) Mensch zum Straftäter wird, gibt es nicht. Jede Biographie verläuft anders. Aber unleugbar besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, Armut, zerbrochenen Familien, Langeweile, fehlenden Perspektiven und Gewalt. Die immer größer werdenden sozialen Gegensätze bergen den Konfliktstoff, aus dem die Jugendkriminalität wächst. Gleichzeitig erzeugt die gegenwärtige Phase des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs Unsicherheiten. Speziell bei Ausländern und insbesondere bei Umsiedlern kommen Integrationsschwierigkeiten hinzu. Dem leistet das integrationsfeindliche Staatsangehörigkeitsrecht Vorschub. Familien und Schulen sind oftmals nicht in der Lage, den Ausgleich zu schaffen. Manch junger Mensch fühlt sich völlig allein gelassen bei der Suche nach seinem Platz in dieser Gesellschaft. Aber wo die soziale Integration junger Menschen gelingt, gibt es weniger Täter. Je mehr aber die sozialen Gegensätze wachsen, desto stärker steigt die Jugendgewalt. Die Jugend in Deutschland gehört zu den klaren Verlierern Vor allem bei Jugendlichen ist die staatliche Prohibition im Bereich der Drogen eine wesentliche Ursache für kriminelle Aktivität. So ist die bisherige repressive Drogenpolitik gescheitert. Ein Rückgang des ungeheuren Anteils drogenmotivierter Kriminalität ist nicht zu verzeichnen. Vielmehr steht die Delinquenz im Bereich der Rauschgiftkriminalität an erster Stelle der Kriminalstatistik. Die Zahl der Rauschgiftdelikte ist 1996 um 18 %. gestiegen. 50% der in den Landesgefängnissen einsitzenden Straftäter sind wegen Drogendelikten verurteilt worden. Gerade aber der hohe Anteil der Beschaffungskriminalität an den Delikten, die dem Bürger in seinem unmittelbaren Umfeld bedrohen, Handtaschenraub, Wohnungseinbrüche und Raubüberfälle auf Geschäfte, muß der Ansatzpunkt liberaler Kriminalitätsbekämpfung sein.

Nicht zuletzt ist die Rauschgift- und Eigentumskriminalität eines der Hauptbetätigungsfelder der Organisierten Kriminalität. Dies ist die durch Macht- und Gewinnstreben bestimmte planmäßige und arbeitsteilige Begehen von Straftaten durch mehr als zwei Beteiligte auf Dauer unter Ausnutzung gewerblicher oder ähnlicher Strukturen, Gewalt oder andere Einschüchterungsmethoden und unter Einflußnahme auf Medien und gesellschaftliche Strukturen. Gerade die Organisierte Kriminalität macht der Bevölkerung Angst. Zwar ist auch hier keine Zunahme zu verzeichnen, vielmehr ging der Anteil der Delikte in diesem Bereich in 1996 um 8,2 % zurück. Die tatsächliche Bedrohung der liegt nicht in der Anzahl der Delikte, sondern in deren Qualität sowie in den auf Dauer angelegten Strukturen. Die festgestellten OK-Gruppierungen agieren weltweit. Nationale Grenzen bilden hierbei offensichtlich keine entscheidenden Hindernisse. Vielmehr kann der angestrebte „Erfolg“ oftmals erst durch die „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ der Täter erreicht werden.

Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen hat sich in diesem Bereich seit 1991 kontinuierlich erhöht. Dies darf nicht mit einer im Vergleich zur deutschen Bevölkerung erhöhten Ausländerkriminalität verwechselt werden. Vergleichsmaßstab bei einem Vergleich von Kriminalität innerhalb der deutschen und der ausländischen Bevölkerung ist die ausländische Wohnbevölkerung. Überdies müssen ausländerspezifische Delikte ausgeklammert werden. Selbst die PKS weist auf eine sonst nicht bestehende Vergleichsmöglichkeit hin. Dabei ergibt sich sogar eine niedrigere Kriminalitätsrate innerhalb der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik. Ergebnis ist, daß zwischen der Kriminalitätsbelastung der deutschen und der ausländischen Wohnbevölkerung kein signifikanter Unterschied besteht. Das gilt auch für die Jugendkriminalität.


Liberale Lösungsansätze

Prävention ist für Liberale der erste Pfeiler im Kampf gegen die Kriminalität. An erster Stelle muß daher die konsequente Bekämpfung der Ursachen der Kriminalität stehen. Der zweite Pfeiler einer liberalen Politik der Inneren Sicherheit ist die Verhältnismäßigkeit der Repression. Für Liberale gilt: im Zweifel für die Freiheit.

Die „Kommune“

Angesichts der Vielfalt der Faktoren, die für den Anstieg bestimmter Formen der Kriminalität verantwortlich sind, ist es unerläßlich, bereits vor Ort alle betroffenen Behörden, Bürger und Institutionen zu vernetzen, um Brennpunkte frühzeitig zu erkennen und differenzierte erfolgreiche Prävention zu leisten. Denn Sicherheit ist nicht nur Sache der Polizei, sondern auch Sache des Bürgermeisters. Man muß die „Infrastruktur der Gesellschaft“ nutzen.

1. Die Jungen Liberalen fordern daher:

a) die Motivierung der kommunalen Behörden, Stadtplaner, Jugendämter,
Architekten usw. zu sicherheitsbewußtem Handeln

b) die Erstellung eines Kriminalitätsatlas für die einzelne Kommune

c) die Verstärkung der Präventionsarbeit auf kommunaler Ebene durch

aa) Zusammenarbeit von Sozialämtern / Jugendämtern / Sozial- und Wohnungsämtern/ Bürgervereinen / Drogenberatungsstellen / kirchlichen Sozialeinrichtungen in sog. „Präventivräten“

bb) Erhöhung des Anteils der Außendienstmitarbeiter der Ordnungsbehörden

cc) Flexibilisierung der Dienstzeiten und Errichtung eines Notdienstes bei den einschlägigen Behörden

2. Die „Aktion Sicherheitsnetz“ und die Verschärfung kommunaler Polizeiverordnungen

a) „Aktion Sicherheitsnetz“
Besonderer Erwähnung bedarf das unter dem Schlagwort „Aktion Sicherheitsnetz“ vorgestellte Konzept des Bundesinnenministers. Kerngedanke dieses Konzepts zur Bekämpfung der Alltagskriminalität ist die These, es komme zu einer Infrastruktur der Kriminalität, wo Unordnung und Verwahrlosung geduldet werden. Erforderlich sei daher das konsequente Einschreiten gegen Ordnungswidrigkeiten und Störungen der öffentlichen Ordnung. Als Rechtfertigung der „Aktion Sicherheitsnetz“ verweisen die Verfechter derselben auf den Rückgang der registrierten Kriminalität in New York. Dort wurde unter den Schlagworten „Zero Tolerance“ bzw. „Community Policing“ jene Wehret-den-Anfängen-Politik konsequent durchgesetzt. Hierbei verschweigen die Verfechter der „Aktion Sicherheitsnetz“, daß in den anderen urbanen Zentren der Vereinigten Staaten im selben Zeitraum die Kriminalität in vergleichbarem Ausmaß wie in New York gesunken ist. Als tatsächliche Ursachen des Rückgangs der Kriminalität sind vielmehr demographische Veränderungen (weniger junge Männer), vor allem aber die verbesserte Lage auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt zu nennen. Außerdem stieg in New York insbesondere in sozialen Brennpunkte der Mißbrauch von Polizeigewalt drastisch. Aus Sicht der Jungen Liberalen Baden-Württemberg ist daher davor zu warnen, voreilige Schlüsse aus der Kriminalitätsentwicklung in den USA zu ziehen.

Konzepte wie die „Aktion Sicherheitsnetz“ beeindrucken aufgrund der massiven Polizeipräsenz allenfalls Gelegenheitstäter. Die Sicherheit der Bürger wird objektiv aber vor allem durch Intensiv- und Serientäter bedroht.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg stellen fest: mit Konzepten wie der „Aktion Sicherheitsnetz“ wird dem Bürger lediglich suggeriert, durch freiheitsbeschränkenden Aktionismus sei mehr Sicherheit zu schaffen.

„Unordentliche Zustände“ wie öffentlicher Alkoholkonsum, Betteln, das Betreten von Grünflächen etc. sind per se noch keine Rechtsverstöße. Diese Verhaltensweisen liegen vielmehr im Bereich vor dem Rechtsverstoß, im Gebiet der Sozialkontrolle.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg meinen: Ziel verantwortungsvoller Politik, die den Bürger wirklich ernst nimmt, muß daher sein, den Bürger zu mehr Zivilcourage zu ermuntern: Hinschauen und Handeln statt Abwenden und Nichtstun! Dem mündigen Bürger ist Zivilcourage zuzumuten. Wer fehlende Sozialkontrolle durch den Einsatz von Polizei oder freiwilligen Hilfsdiensten ersetzt, betreibt Gefälligkeitspolitik. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg lehnen diese Strategie zur Bekämpfung der Alltagskriminalität als einen Schritt auf dem Weg in den Überwachungsstaat ab: Für die Jungen Liberalen Baden-Württemberg ist Kriminalität ein freiheitsgefährdender Verstoß gegen unsere Zivilisation. Aber umgekehrt ist nicht jeder Verstoß gegen die Zivilisation gleich kriminell. Die beste Kriminalpolitik ist immer noch eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wo hingegen Ordnung zum Selbstzweck wird, ist die Grenze erträglicher Eingriffe in die Freiheit des mündigen Bürgers überschritten. Für die Polizei darf kein Opportunitätsprinzip gelten.

b) Verschärfungen kommunaler Polizeiverordnungen
Auf dem selben Gedanken wie die „Aktion Sicherheitsnetz“ beruhen die – teils bereits vorgenommenen, teils geplanten – Verschärfungen kommunaler Polizeiverordnungen. Diese Verschärfungen pönalisieren „unordentliche Verhaltensweisen“ wie öffentlichen Alkoholgenuß, öffentliches Urinieren oder Betteln. Außerdem soll das im baden-württembergischen Polizeigesetz nach wie vor vorgesehene Schutzgut der „Öffentlichen Ordnung“ wieder stärker aufgewertet werden. Vielerorts soll die konsequente Einhaltung der Verordnungen durch „Kommunale Ordnungsdienste“ oder private Sicherheitsdienste gewährleistet werden.

Wer die Öffentliche Ordnung und das Straßenbild durch alkoholkonsumierende Obdachlose beeinträchtigt sieht, sollte die Ursachen der Obdachlosigkeit bekämpfen!
Verbringungsgewahrsam und Bettelverbot dienen lediglich der Verlagerung der Probleme in die Vorstädte oder die Nachbargemeinden. Was bislang als Ausgrenzung von Armen und Schwachen galt, wird neuerdings als zentraler Bestandteil der Kriminalitätsbekämpfung ausgegeben.

Ein Ziel der verschärften Polizeiverordnungen ist die Auflösung offener Drogenszenen. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg meinen: Eine Drogenpolitik, die sich auf die Verdrängung der Abhängigen aus den Innenstädten beschränkt, ist ineffektiv und inhuman.
Eine sinnvolle Drogenpolitik besteht aus verstärkter Suchtprävention flankiert von der Legalisierung weicher Drogen, der Einrichtung von Fixerstuben und der kontrollierten Abgabe von Heroin an Süchtige.

Weiter ist zu beachten, daß die praktische Umsetzung der verschärften Polizeiverordnungen den Ausbau des „freiwilligen Polizeidienstes“ und/oder den Einsatz privater Sicherheitsdienste voraussetzt.
Beide Formen der Aufweichung des Gewaltmonopols lehnen die Jungen Liberalen Baden-Württemberg entschieden ab. Zum einen ist das demokratisch legitimierte, staatliche Gewaltmonopol konstitutives Merkmal des Rechtsstaats. Das Gewaltmonopol sichert den Anspruch der offenen Bürgergesellschaft auf ein gewaltloses Miteinander. Das gewaltlose Miteinander nun durch eine Aufweichung des Gewaltmonopols zu erfüllen, ist widersinnig und rechtsstaatlich bedenklich. Zum anderen ist es nicht zu verantworten, wenn unzureichend ausgebildete Polizeifreiwillige zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung herangezogen werden.

Private Sicherheitsdienste als Verwaltungshelfer bei der Erteilung von Platzverweisen auf öffentlichen Plätzen einzusetzen ist nicht nur rechtlich bedenklich, es verwischt aus Sicht des Bürgers auch die Grenze zwischen hoheitlicher und privater Tätigkeit.

Die Jungen Liberalen lehnen daher ab:

a) eine „Aktion Sicherheitsnetz“

b) eine niedrige Einschreitschwelle zur Herstellung der „öffentlichen Ordnung“ durch Verschärfung kommunaler Polizeiverordnungen

c) die Ausweitung des freiwilligen Polizeidienstes und die Aufstellung privater Bürgerwachten

d) den Begriff der Öffentlichen Ordnung in § 1 LPolG

Die Drogenpolitik

Liberale wollen der Realität ins Auge sehen: eine drogenfreie Gesellschaft wird es nie geben. Daher ist für Liberale in diesem Bereich die Entkriminalisierung des Drogenkonsums die effektivste Maßnahme der Kriminalitätsbekämpfung. Nicht zuletzt ist es ein Gebot der Menschlichkeit, die Abhängigen aus dem Kreislauf von Kriminalität und Verelendung zu befreien.

1. Daher fordern die Jungen Liberalen Baden-Württemberg:

a) die Freigabe von sog. „weichen Drogen“

b) die ärztlich kontrollierte Abgabe harter Drogen an Schwerstabhängige

c) die Einrichtung von Fixerstuben

d) den straffreien Konsum von Ecstasy

e) die verstärkte Aufklärung und Information über die neuen Partydrogen

Die Jugendkriminalität

Der Anstieg der Jugendkriminalität hat unendlich vielschichtige Gründe. Ziel liberaler Politik muß es daher sein, eine differenzierte Strategie zur Bekämpfung der Jugendkriminalität zu entwickeln. Sowohl die Prävention als auch der effektive Strafvollzug sowie eine Politik, die der Jugend Perspektiven bietet, müssen dabei ihren Raum haben und der Breite der Einflußfaktoren Rechnung tragen. Gerade das Strafrecht ist im Bereich der Jugendkriminalität zu flexibilisieren.

1. Die Jungen Liberalen fordern daher:

a) eine bessere Jugendarbeit

aa) verdichtete Infrastruktur von Treffpunkten (Streetball abends / Graffiti-Wettbewerbe etc.)

bb) Schaffung mobiler Jugend – Stadtteilbüros

cc) Schaffung sog. „sleep-ins“, wo Jugendliche und Erwachsene ohne Angabe ihrer Identität aufgenommen werden können und Hilfe bekommen

dd) Schaffung städtischer Jugendstiftungen, die kurzfristig und unbürokratisch Geld für Projekte zur Verfügung stellt.

ee) verstärkte Einbindung von Jugendlichen in die kommunale Planung

b) die frühzeitige Erkennung von Brennpunkten und Risikolagen durch Präventivräte (s.o.)

c) die Anwendung des beschleunigten Verfahrens auch in der Jugendgerichtsbarkeit

d) die Beschränkung der Diversion im Strafverfahren auf kleine Vergehen („Die Strafe muß auf dem Fuße folgen.“)

e) eine neue Drogenpolitik (s.o.)

2. Die Jungen Liberalen lehnen daher ab:

a) die Herabsetzung der Strafmündigkeit
b) Ausweitung der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende (18-21 Jahre)
c) die Ausweitung der geschlossenen Unterbringung für Jugendliche:

Das Strafrecht

Das Strafrecht eignet sich zu aktionistischer Politik: Neue Straftatbestände und Strafverschärfungen bieten eine kostengünstige Möglichkeit, Aktivität vorzuführen. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg beobachten als Folge dieser Gefälligkeitspolitik in den Bereichen Strafrecht und Strafprozeßrecht insgesamt eine Tendenz zur Verrechtlichung und Überkriminalisierung. Nach Ansicht der Jungen Liberalen Baden-Württemberg birgt diese Gefälligkeitspolitik Gefahren: Durch die zunehmende Verrechtlichung geht der fragmentarische Charakter des Strafrechts verloren. Als Folge der Überkriminalisierung verlieren Strafrechtsnormen ihre präventive Wirkung. Gleichzeitig wächst der Zwang für den Gesetzgeber, mit strafrechtlichen Normen auf wirkliche oder vorgebliche Mißstände zu reagieren. Solange jegliche empirischen Feststellungen darüber, ob Neuregelungen Wirkungen auf das kriminelle Geschehen gehabt haben, fehlen, besteht die Gefahr übermäßiger Freiheitsbeschränkungen. Das Strafrecht hat sich übernommen. Wo es zu viele Vorschriften gibt, entstehen zwangsläufig massenhaft Verfahren und es vergeht bis zur Verurteilung viel zu viel Zeit, falls es überhaupt dazu kommt. Solches Recht hat gar keine Chance, ins Rechtsbewußtsein einzudringen. Viel wichtiger als Verschärfungen ist die Flexibilisierung des klassischen strafrechtlichen Sanktionssystems und der richtige Ansatzpunkt: die Minderung der objektiven Kriminalitätsbelastung. Nicht immer mehr Menschen werden kriminell, sondern wenige Täter begehen in immer schnelleren Abständen neue Straftaten. Intensiv- und Serientätern begehen z.B. bei Eigentumsdelikten 80 Prozent der Straftaten. Schutz vor diesen Tätern gibt es im Rechtsstaat nur durch sorgfältige Ermittlung und konsequente Sanktionierung.

1. Die Jungen Liberalen fordern daher:

a) die konsequente Nutzung des beschleunigten Verfahrens bei einfachem Sachverhalt oder klarer Beweislage

b) keine Entkriminalisierung von sog. Bagatelldelikten

c) die verstärkte Nutzung des Täter-Opfer-Ausgleichs

d) der verstärkte Rückgriff auf die unmittelbare Schadenswiedergutmachung (bspw.
Graffiti-Vandalismus)

e) die Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit statt zur Haftstrafe in den Fällen der
Zahlungsunfähigkeit mit Geldstrafen belegter Personen

f) die Erprobung der elektronischen Fußfessel

g) die Einführung einer Verlaufsstatistik für ausgewählte Delikte

h) die wirksame Bekämpfung von Intensiv- und Serientätern durch:

aa) primär Verbesserungen der polizeilichen Arbeit
Erhöhung der Zahl der Ermittlungsbeamten bei Schutz- und Kriminalpolizei
Verstärkung der Fahndungseinheiten
Verbesserung der EDV-Ausstattung zur Erstellung von Täterprofilen und Lagebildern
den vermehrten Einsatz von Verwaltungskräften zur Entlastung der Polizei

bb) wirksamere Anwendung des bestehenden Haftrechts

cc) Verbesserung der personellen und sachlichen Ausstattung von Gerichten und Staatsanwaltschaften

2. Die Jungen Liberalen lehnen daher ab:

a) die Verrechtlichung und Überkriminalisierung des Strafrechts

b) den Teilerlaß von Strafen für Wiederholungstäter

Die Organisierte Kriminalität

Es gilt, begünstigende Strukturen im Staat aufzubrechen und im Hauptbetätigungsfeld der Organisierten Kriminalität anzusetzen. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität erfordert entschlossenes und auch grenzüberschreitendes Handeln des Staates. Gerade in diesem sensiblen Bereich der Organisierten Kriminalität, die auch in den Augen der Bevölkerung als größte Bedrohung empfunden wird, ist aber unverhältnismäßigen Einschnitten der Freiheit durch kurzfristige Wählererfolge sichernden gesetzgeberischen Aktionismus vehement entgegenzutreten.

1. Daher fordern die Jungen Liberalen Baden-Württemberg:

a) eine neue Drogenpolitik (s. 1.)

b) die verstärkte internationale Zusammenarbeit der Polizei unter enger Vernetzung der handelnden und betroffenen Stellen und Institutionen

c) eine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels durch

aa) eine rechtlich abgesicherte Stellung für Prostituierte

bb) eine dreimonatige vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung und Zeugenschutz in Zusammenarbeit mit Frauenhilfsorganisationen für aufgegriffene illegal in Deutschland arbeitende ausländische Prostituierte entsprechend dem holländischen Modell

d) die kontinuierliche Verbesserung des Opfer- und Zeugenschutzes

e) keine strafrechtliche Verfolgung von Aussagenden in Fällen der Schutzgelderpressung

f) den weitereren Ausbau der Strafbarkeit der Bestechung von Amtsträgern im In- und Ausland, insbesondere von internationalen Organisationen und im internationalen Geschäftsverkehr

2. Die Jungen Liberalen lehnen daher ab:

a) die ausufernde Telefonüberwachung ohne rechtsstaatliche Kontrolle

b) die Videoüberwachung („Spähangriff“)

c) die Einführung des Lauschangriffs

d) die Umkehrung der Beweislast und Verletzung der Eigentumsgarantie bei der Gewinnabschöpfung

e) Regelungen, die verdeckten Ermittlern die Begehung sogenannter milieugerechter Straftaten erlauben.

f) eine Immunität der EUROPOL Beamten

Die Polizei

Eine angemessene Ausstattung und Ausbildung der Polizei hat für Liberale einen hohen Stellenwert. Erst wenn die effektive Ausführung bestehender polizeilicher Befugnisse sichergestellt ist kann über neue Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten nachgedacht werden. So ist eine Entlastung von Aufgaben, eine Flexibilisierung der Dienststruktur sowie die verstärkte länder- und grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei gefordert. Die Polizei muß auf veränderte gesellschaftliche Gegebenheiten reagieren: So kann sie den Anteil der ausländischen Bevölkerung genausowenig ignorieren wie das verstärkte Bedürfnis der verstärkten kommunalen Präsenz und Zusammenarbeit mit dem Bürger. Dies darf jedoch nicht zu einer Privatisierung des polizeilichen Gewaltmonopols führen.

1. Die Jungen Liberalen fordern daher:

a) die Entbürokratisierung polizeilicher Strukturen

b) die Verbesserung der technischen Ausstattung der Polizei

c) die Neubesetzung freier Planstellen

d) die verstärkte Aufnahme von Ausländern in die Polizei

e) die Einführung einer zweigeteilten Laufbahn

f) die Überprüfung der Besoldungsstruktur

g) die Verbesserung der berufsbegleitenden Fortbildung der Polizisten

h) die notwendige Entlastung der Polizei von sekundären Aufgaben durch Privatisierung
Dabei ist z.B. zu denken an ärztliche Dienste, Schreibdienste, Verwaltung von
Liegenschaften / Gerätschaften, Wartungsdienste, Aus- und Fortbildung,
Verpflegungsdienste, Objektschutz von privaten Firmen,

i) Austauschprogramme für Mitarbeiter im Polizeidienst, der Staatsanwaltschaften und im Vollzug (Hospitation)

h) die verstärkte Präsenz der Polizei vor Ort

i) die intensive Zusammenarbeit von Polizei und Kommunen

j) im Bereich der Drogenpolitik eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei mit Streetworkern und Ärzten

2. Die Jungen Liberalen lehnen daher als unverhältnismäßige Einschränkungen der Freiheit ab:

a) die Beteiligung der Bürger als „freiwillige Polizeihelfer“ und „Bürgerwacht“

b) anlaß- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen


Forderungen an die F.D.P./DVP – Landtagsfraktion

Der freiheitsgefährdenden Gefälligkeitspolitik im Bereich der Inneren Sicherheit ist von Seiten der F.D.P./DVP – Fraktion offensiv entgegenzutreten:

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern die F.D.P./DVP auf, eine klare Position zur „Aktion Sicherheitsnetz“ zu beziehen.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern die Abschaffung des freiwilligen Polizeidienstes. Diese – keineswegs neue – Forderung hat im Zusammenhang mit der Ablehnung repressiver kommunaler Polizeiverordnungen neue Bedeutung erhalten, da die Durchsetzung dieser Verordnungen die Ausweitung des freiwilligen Polizeidienstes voraussetzt. Auch die F.D.P./DVP hat im Wahlprogramm zur letzten Landtagswahl bekundet, für die Abschaffung des freiwilligen Polizeidienstes einzutreten. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern daher die F.D.P./DVP auf, einen entsprechenden Entwurf zur Abschaffung des Gesetzes über den freiwilligen Polizeidienst (FPolDG) vorzulegen.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern die F.D.P./DVP auf, für die Streichung der „Öffentlichen Ordnung“ in § 1 Absatz 1 Satz 1 PolG einzutreten. Nach modernem Rechtsverständnis sind Eingriffe in die Rechte der Bürger nur bei sanktioniertem Verhalten vorzunehmen, also bei einem Verstoß gegen die Öffentliche Sicherheit. Viele Bundesländer haben – wie im Musterentwurf vorgesehen- die Öffentliche Ordnung bereits aus ihren Polizeigesetzen gestrichen. Mit dieser Forderung wird zudem den Bestrebungen der CDU nach einer Wiederaufwertung der Öffentlichen Ordnung entgegengetreten. Bei einer solchen Aufwertung käme es zu erheblichen Ausweitungen polizeilicher Kompetenzen bis hin zu der Ermessensentscheidung, was als „unordentlich“ empfunden werden muß.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern die F.D.P./DVP auf, für die Streichung von § 26 I Nr.6 PolG (anlaß- und ereignisunabhängige Personenkontrollen) einzutreten. Die Jungen Liberalen lehnen derartige Willkürkontrollen im Verhältnis Staat – Bürger ab, weil sie dem Grundsatz der erforderlichen konkreten Gefahr für Eingriffsakte der Polizei widersprechen. Überdies verstoßen diese Kontrollen gegen Art. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens als Bestandteil des neuen EG- Vertrages.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern die F.D.P./DVP auf, die objektive Kriminalitätsbelastung zu mindern, indem sie die zur Bekämpfung der Intensiv- und Serientäter unterbreiteten Vorschläge

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