[Juliette 2/2016] – Die Beta-Rente

Dass die FDP ein flexibles Renteneintrittsalter fordert, ist unter Liberalen fast schon ein alter Hut. Auf dem Bundesparteitag unter dem Motto „Beta Republik“ hat sie kürzlich ein neues Rentenprogramm beschlossen. Was steht darin über das liebste Wahlkampfthema der GroKo? Ein Gespräch mit  FDP-Landeschef Michael Theurer über die Grundsätze und die Zukunft der Rentenpolitik.


Juliette: Vor kurzem hat mir eine Taxifahrerin, die mit ihrem Job ihre Rente aufbessert, ans Herz gelegt schon jetzt Geld fürs Alter zur Seite zu legen. Würden Sie mir als jungem Menschen denselben Rat geben?
Theurer: Absolut. Durch den demografischen Wandel, also immer weniger jüngere und mehr ältere Menschen, kommt das umlagefinanzierte Rentensystem in eine schwierige Situation. Es ist jetzt schon absehbar, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr eine volle Rente bezahlen kann. Somit ist mehr private Vorsorge auf jeden Fall sinnvoll. Dazu muss man raten.

Juliette: Für Geringverdiener sehe ich die zunehmende Wichtigkeit der privaten Vorsorge problematisch, weil sie nicht die Chance haben aus ihrem Gehalt viel zur Seite zu legen. Wie kann ihnen geholfen werden?
Theurer: Wir Freien Demokraten sind für eine Grundsicherung im Alter. Im Moment ist das Problem, dass die private Vorsorge dann draufgeht, weil sie mit der staatlichen Sicherung verrechnet wird. Das wollen wir ändern, damit auch Geringverdiener einen Anreiz haben privat vorzusorgen.

Juliette: Mit Blick auf die Niedrigzinspolitik der EZB sorgen sich immer mehr Leute um ihre private Vorsorge. Wie verlässlich ist diese Form der Alterssicherung noch?
Theurer: Sowohl die gesetzliche Rentenversicherung als auch die private Vorsorge unterliegen Risiken. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist es das Verhältnis zwischen der Zahl der Sozialversicherungspflichtigen und der Rentenbezieher. Bei der privaten Altersvorsorge hängt der Erfolg von der zur Verfügung stehenden Summe und von der Verzinsung des eingesetzten Kapitals ab. Da ist die Niedrigzinsphase in der Tat ein Problem.
Die Zinshöhe hängt allerdings nicht allein von der EZB, sondern auch von der Wachstumsperspektive ab. Die niedrigen langfristigen Zinsen in Europa weisen darauf hin, dass die Kapitalmärkte die Wachstumschancen für gering halten. Dieses Problem wird nicht stark genug kritisiert. Wir Freien Demokraten fordern daher ein Update; wir fordern Wachstumsimpulse. In Europa, dem Altersheim der Welt, brauchen wir gesteuerte Zuwanderung und eine klar auf technologischen Fortschritt und Innovation ausgerichtete Politik. Das führt zu Wachstum, zu höheren Zinsen und erleichtert so die private Altersvorsorge.

Juliette: Zuwanderung ist eine Möglichkeit die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen. Ich stelle mir einen Flüchtling vor, der mit 30 Jahren nach Deutschland kommt und ein paar Jahre für Sprache und Integration braucht, bis er als Arbeitnehmer Beiträge zahlt. Schafft dieser es im Laufe seiner verkürzten Arbeitszeit, falls er im unteren Lohnsektor angesiedelt ist, ein Rentenniveau über dem Grundsicherungslevel zu erwirtschaften?
Theurer: In diesem Zusammenhang muss man trennen zwischen Zuwanderung aus humanitären Gründen und der gesteuerten Zuwanderung von Fachkräften in den Arbeitsmarkt. Im von mir beschriebenen Wachstumszusammenhang wollte ich darauf hinweisen, dass es bei einer schrumpfenden Bevölkerung mit bedarfsgedeckten Märkten – also jeder hat ein Auto, jeder hat einen Kühlschrank – ohne Innovation wenig Wachstumsimpulse gibt. Das war eher ein wirtschaftspolitisches Argument als ein Argument für die gesetzliche Rentenversicherung.
Bei der Rentenversicherung ist der Finanzbedarf abhängig von der Zahl der Versicherer und von der Zeit des Bezuges. Wenn Menschen immer älter werden, muss immer mehr finanziert werden. Da ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Zahl der Beitragszahler steigt, stagniert oder zurückgeht. Die Zuwanderung von Fachkräften, die auch Arbeit finden sowie Steuern und Beiträge bezahlen, ist positiv und stabilisiert das Rentensystem. Es kommt also vor allem auf qualifizierte Zuwanderung und schnelle Integration in den Arbeitsmarkt an. Insofern plädieren wir im Zusammenhang mit Flüchtlingen dafür, dass diejenigen mit Bleibeperspektive auch schnell in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Juliette: Um den Kreis der Beitragszahler zu erhöhen könnte man auch momentan ausgeschlossene Gesellschaftsgruppen miteinbeziehen. Die FDP möchte die Sonderregelungen für Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung abschaffen und alle Selbstständigen gleich behandeln. Könnte man diese Gruppe nicht komplett miteinfassen?
Theurer: Bisher ist es so, dass einige Selbstständige, wie Handwerker, durch die Rentenversicherung abgesichert sind und andere Selbstständige nicht. Im Grunde genommen gibt es bei Unternehmern, Freiberuflern und Selbstständigen drei Gruppen: Die Einen, die pflichtversichert sind in der Rentenversicherung, die anderen, die freiwillig versichert sind über Berufsvorsorgewerke, wie etwa Anwälte, und dann gibt es andere, die überhaupt keine Pflicht zur Versicherung haben. Wir wollen mehr Wahlfreiheit und mehr Selbstbestimmung in allen Lebenslagen. Deshalb hat die FDP beschlossen, dass die Pflichtversicherung etwa von Handwerkern in der gesetzlichen Versicherung aufgehoben wird. Allerdings wollen wir eine Pflicht zur Versicherung für alle Selbstständigen, weil wir die zunehmende Altersarmut von diesen Menschen mit Sorge sehen und aktiv bekämpfen wollen. Wie bei der KfZ-Versicherung möchten wir, dass sich jeder und jede versichern muss. Allerdings soll freigestellt werden, wie sich die Betroffenen versichern, also ob sie in die gesetzliche Rentenversicherung gehen oder in eine private Vorsorge einbezahlen.

Juliette: Sie haben im Europa-Parlament den Vergleich zu anderen Ländern. Halten Sie das deutsche Versicherungssystem für die beste Lösung oder sehen Sie ein Grundrentensystem mit pauschaler Leistung positiver?
Theurer: Allgemein hat sich das deutsche Rentenversicherungssystem bewährt. Die Versicherung muss allerdings insbesondere angesichts des demografischen Wandels ergänzt werden. Deshalb plädiert die FDP dafür, die Elemente der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge zu stärken. Im Vergleich mit Rentensystemen in anderen europäischen Ländern gibt es welche, die uns voraus sind, etwa die Niederlande. Ich glaube, dass es gerade im europäischen Vergleich gute Argumente gibt, dass das neu beschlossene Konzept der FDP richtig ist und schnellstmöglich umgesetzt werden soll. Also eine stärkere Wahlfreiheit mit Pflicht zur Versicherung sowie Anreize, länger zu arbeiten und mehr privat vorzusorgen.

Juliette: Die Vorstellung, die hinter der betrieblichen Vorsorge steht, nämlich dass ein Mensch ein Leben lang beim selben Arbeitgeber arbeitet, hält die FDP für nicht mehr zeitgemäß. Wie kann diese Vorsorgeform bei häufigem Arbeitgeberwechsel zukünftig genutzt werden?
Theurer: Zunächst ist wichtig zu betonen, dass wir für die betriebliche Altersvorsorge sind. Es ist ein Instrument der Personalbindung von Unternehmen sowie ein Beitrag von Unternehmen und Arbeitnehmern zur zusätzlichen Altersvorsorge. Das ist positiv. Wir wollen deshalb auch, dass bürokratische Hemmnisse, die Unternehmen von der Schaffung einer betrieblichen Vorsorge abhalten, abgebaut werden. Allerdings erleben wir, dass die moderne Weltwirtschaft fordert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit großer Flexibilität am Arbeitsmarkt unterwegs sind. Diese müssen wir bei der Altersvorsorge berücksichtigen. Wir Freien Demokraten sind für die Portabilität der Versorgungsansprüche. Wir wollen also, dass bei Wechsel des Arbeitsgebers die Versorgungsansprüche mitgenommen werden können. Diese Portabilität wollen wir nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb Europas, sodass Menschen von einem in ein anderes Mitgliedsland umziehen können. Da gibt es im Moment noch hohe bürokratische Hürden, die die Mobilität am europäischen Arbeitsmarkt stark einschränken. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Von Alexandra Seyfang.