[Juliette 1/2017] – Suchtpolitik der Selbstbestimmung: Ein Widerspruch?

Sprechen Liberale über Suchtpolitik, so fallen zwei Positionen besonders auf. Da sind auf der einen Seite die Libertären, die postulieren, es gehe grundsätzlich sowieso niemanden etwas an, was jemand zu sich nehme, der Staat solle sich daher aus diesem Thema komplett heraushalten. Auf der anderen Seite sind da die eher konservativen Pragmatiker, denen vor allem wichtig ist, dass ihre eigenen Freiheiten nicht eingeschränkt werden. Mit beiden Positionen konnte ich noch nie viel anfangen, weil sie Suchtpolitik nicht ernst nehmen.
In der libertären Position äußert sich dies darin, dass die Folgen des Konsums völlig ausgeblendet werden: Gerade die Volksdroge Alkohol induziert regelmäßig physische Gewalt, sei es direkt in Form von Auseinandersetzungen oder indirekt durch betrunkene Autofahrer. In der als britische Regierungsstudie gestarteten und später unabhängig fortgesetzten Untersuchung von Nutt et al. (2010) weist Alkohol in der Kategorie „harm to others“ derart viele Punkte auf, dass es schon allein dadurch auf Platz drei der schädlichsten Rauschmittel gekommen wäre – nur hinter Heroin und Crack.
Doch das Nichtaggressionsprinzip ist die konstituierende Grundlage libertären Denkens – schreibt doch Ayn Rand, dass die Vorbedingung einer zivilisierten Gesellschaft der Ausschluss der Gewalt aus sozialen Beziehungen sei. Wenn dies der Fall ist, so muss eine Gesellschaft, die sich zivilisiert nennen will, eine Suchtpolitik verfolgen, die nicht allein im Postulat bestehen kann, jeder solle doch tun wie ihm beliebe.
Die kognitiven Dissonanzen der pragmatischen Position sind natürlich noch offensichtlicher. Wer einerseits das verhältnismäßig schadensarme Cannabis verboten belassen möchte, andererseits jedoch jegliche Regulierung des verhältnismäßig schädlichen Alkohols strikt ablehnt – hier sei an die Bezeichnung des Werbeverbots für die Bekömmlichkeit von Bier als Terrorismus regulierungswütiger Bürokraten durch Dr. Rülke erinnert – wird sich schwer tun, dies logisch konsistent zu rechtfertigen. Dieser Ansatz lässt sich wohl eher durch andere Faktoren erklären: Soziologisch, weil Alkoholkonsum sich durch alle Alters- und Bevölkerungsschichten zieht, der Konsum von Cannabis jedoch in bestimmten Milieus und in der Altersklasse zwischen 16 und 29 besonders häufig ist und bei deren Verlassen auch auf individueller Ebene häufig abnimmt. Verhalten, das man im eigenen Umfeld nicht wahrnimmt, wird jedoch schneller als abnorm oder falsch betrachtet. Politökonomisch, weil Freiheit beim Wähler nur dann populär ist, wenn es die eigene ist – die Mehrheit der Wähler jedoch nicht zu besagten Altersklassen und Milieus gehört. So lässt sich auch erklären, warum Daniel Bahr als Vorsitzender der Jungen Liberalen eine Kampagne unter dem Motto „Lieber bekifft ficken als besoffen fahren“ verantwortete, als Bundesgesundheitsminister jedoch im Bundestag postulierte: „Cannabis ist schädlich und deshalb muss es verboten bleiben.“
Die Jungen Liberalen plädieren für den dritten Weg. Auf diesem Weg steht Selbstbestimmung im Mittelpunkt, ohne dass dabei die Politik untätig wäre. Im Gegenteil.
Das Prinzip ist dabei folgendes: Mündige Bürger dürfen selbst entscheiden, was sie mit ihrem Körper anstellen, Repression ist abzulehnen. Dazu gehören auch Lenkungssteuern – diese sind höchstens für eine Übergangsphase nach der Legalisierung diskutabel, um den erwartbaren Preissturz abzufedern.
Stattdessen sollte Suchtpolitik Prävention, Beratung und Behandlung sowie Schadensreduzierung in den Mittelpunkt stellen. Diese sind nicht allein Staatsaufgabe, sondern gehen alle etwas an.
Präventionsarbeit beginnt dabei schon dort, wo noch keine (volle) Mündigkeit vorherrscht: Bei Kindern und Jugendlichen. Dabei geht es zum einen darum, ein realistisches Bild davon zu zeichnen, was der Konsum von Suchtstoffen für einen Menschen und sein Umfeld bedeutet, ohne Schwarzmalerei, aber auch ohne Verharmlosung. Zum anderen geht es darum, die Ursachen für stoffbezogene Abhängigkeit – mangelnde soziale Integration, mangelnde Beherrschung alternativer Coping-Mechanismen für den Umgang mit negativen Emotionen, mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten – zu beheben.
Im Bereich Beratung und Behandlung geht es darum, auf Wunsch der Betroffenen riskante Konsummuster abzustellen. Die Angebote in diesem Bereich haben in Deutschland gewaltige Fortschritte gemacht, doch auch hier gibt es Verbesserungspotentiale. In Großbritannien etwa können sich Menschen, die gerne keinen Alkohol mehr konsumieren würden, bei ihrem Supermarkt ein Alkoholverkaufsverbot erteilen lassen. In Schweden werden Nutzer von Spielautomaten verpflichtet, zu Monatsbeginn festzulegen, wie viel Geld sie für ihr Hobby ausgeben möchten – letzteres ließe sich natürlich auch auf freiwilliger Basis einführen. Überall dort, wo Kundendaten gespeichert werden, könnte den Kunden auch eine Informationsmöglichkeit über die gekauften Suchtstoffe angeboten werden.
Schließlich die Schadensreduzierung. Diese beginnt schon beim Verbraucherschutz: Auf einem Schwarzmarkt ist dieser naturgemäß eingeschränkt. Unabhängige Qualitätskontrollen sind unmöglich, Produktstandards existieren nicht, Regressmöglichkeiten beschränken sich auf Gewalt und ihre Androhung. Dies ist der Grund, warum von einer Legalisierung kein Anstieg der Drogenschäden zu erwarten ist: Die potentielle Mengenreduzierung durch die Prohibition wird durch die Qualitätsreduzierung überkompensiert.
Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, die Schäden zu reduzieren, ohne die Freiheit einzuschränken. Dabei geht es beispielsweise um die schlichte Verfügbarkeit von Produkten mit reduziertem Wirkstoffgehalt – wenn also beispielsweise auch „light“-Bier mit 3,5% Alkohol oder ein kleines Glas angeboten wird.
Modellprojekte zeigen, dass diese Maßnahmen, welche die Entscheidungsfreiheit der Bürger eben nicht einschränken, wesentlich wirkungsvoller sind, als Gebote und Verbote je waren.

Von Roland Fink.