[Juliette 2/2017] – Europa der Clubs?

Im „Schweizer Monat“ veröffentlichte Prof. Dr. Michael Wohlgemuth vom Thinktank „Open Europe Berlin“ im Mai den Essay „Ein Europa der Zukunft – Von der ‚immer engeren Union‘ zum ‚Europa der Clubs‘“. Roland Fink hat sich den Artikel genauer angeschaut
Eine gelungene Darstellung der Europäischen Union (EU) und ihrer Institutionen aus liberaler Sicht – wie oft bekommt man das schon zu lesen? Wohlgemuth gelingt es auf engem Raum, die grundlegenden Probleme der EU darzulegen und Lösungen anzubieten.
Dabei erläutert er zunächst politökonomische Grundlagen und wendet diese auf den Europäischen Einigungsprozess an. Als kurzfristige mögliche Reformoption stellt er eine stärkere Subsidiarität nach dem Vorbild der Zugeständnisse, die an das Vereinigte Königreich gemacht worden wären, so die britischen Bürger den Brexit abgelehnt hätten, vor. Als Grundlage für die mittelfristigen Überlegungen verwendet er das Weißbuch der Kommission Juncker, in dem fünf Optionen für die Zukunft der EU vorgestellt werden. Schließlich erörtert er ausführlich seine langfristig präferierte Variante: Eine Clubunion, in der sich themenbezogen jeder Staat aussuchen kann, wo er gemeinsame Lösungen haben will und wo nicht. Dies hat den offensichtlichen Vorteil, dass niemand mehr komplizierte oder schwierige Kompromisse eingehen muss. Darüber hinaus können zu einzelnen Themen auch mehrere Clubs in Wettbewerb zueinander treten.
Das offensichtliche, himmelschreiende Problem einer solchen Clubunion wird von Wohlgemuth leider nicht angesprochen: Das Demokratiedefizit. Warum wurde denn das Europäische Parlament überhaupt geschaffen? Weil die Staats- und Regierungschefs sonst im Hinterzimmer nach Gutdünken entscheiden – ohne echte Rückkoppelung zu einer Bürgerkammer. Eine Clubunion kann nicht für jeden Club ein neues Parlament schaffen, schon bei den heutigen Clubs blickt kaum jemand mehr durch. Folglich wäre in der Realität ein Europa der Clubs eine Diktatur der 28 (oder 27) Regierungen.
Auch nimmt Wohlgemuth reichlich unhinterfragt einige EU-Mythen auf, so beispielsweise bei der gemeinsamen Agrarpolitik, die er als schädlich bezeichnet – ohne die Alternativen der noch schädlicheren nationalen Agrarpolitiken in Betracht zu ziehen. Genauso kritisiert er mehrfach die inzwischen viel häufigeren Beschlüsse über qualifizierte Mehrheit statt Einstimmigkeit – dass die Einstimmigkeit im Rat fehlt, ist bei unter 2% der Entscheidungen der Fall. Besonders tragisch ist, dass er die legalistische Sicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf rechtsdogmatische Legitimität einer möglichen Europäischen Verfassung folgt – diese sei nur bei One Man, One Vote gegeben. Was das BVerfG dabei unterschlägt: Die Grundlage seiner Arbeit, das Grundgesetz, genügt den von ihm aufgestellten Anforderungen ebenfalls nicht – bis hin zu dem Fakt, dass die Berliner Abgeordneten im Parlamentarischen Rat gar kein Stimmrecht hatten.
Die langfristige Vision ist also offenbar noch nicht völlig ausgereift und im Detail ist der Artikel manchmal etwas tendenziös. Dennoch möchte ich jedem empfehlen, ihn zu lesen: Er bietet eine übersichtliche und provokante Diskussionsgrundlage.

Von Roland Fink.