[Juliette 3/2017] – Der Bürger im Mittelpunkt oder “AmazonGov”

Digitale Technologien haben vieles in unserem Alltag bereits grundsätzlich verändert und ein Ende dessen ist nicht absehbar. So bringt uns kein herkömmliches Taxi, sondern ein Uber-Fahrer vom Flughafen in die AirBnB-Wohnung, anstatt ins Hotel. Dabei schauen wir auf Netflix einen Film oder hören auf Spotify noch ein paar Lieder. Videotheken und CDs haben lange ausgedient. Der Erfolg dieser neuen Geschäftsmodelle beruht darauf, dass sie es schaffen, Kundenbedürfnisse nach Personalisierung, maximaler Bequemlichkeit und konstanter Verfügbarkeit mithilfe neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz, Internet der Dinge & Co. zu befriedigen. So soll es auch bei AmazonGO, dem neuen Supermarkt des Online-Händlers Amazon werden. Der Kunde wird mittels Smartphone im Supermarkt eingeloggt und über optische Sensoren getrackt, es wird automatisch festgestellt, welche Produkte er in den Warenkorb gelegt hat und ohne an der Kasse anzuhalten, kann er einfach wieder rauslaufen; abgerechnet wird automatisch mittels seines Amazon-Konto.

Anders hingegen wenn wir einen neuen Führerschein oder eine staatliche Leistung beantragen wollen, dann prallen für uns zwei Welten aufeinander: die von Technologie getriebene, in der alles schneller, bequemer und einfacher geht und die Amtsstube, wo intransparente Prozesse sowohl Bürgern als auch Angestellten viel Zeit rauben. Deshalb muss sich der Staat die provokante Frage stellen: wie würden unsere Dienstleistungen und Prozesse aussehen, wenn wir alles an Amazon auslagern würden, AmazonGov sozusagen? Was wäre, wenn der Staat Dienstleistungen so ausrichten würde, dass es Bürgern vielleicht sogar ein angenehmes Erlebnis würde?

Dazu müssten Ämter weniger in Silos denken, sondern von Bedürfnis- und Erlebnisketten der Bürger ausgehen. Also: was braucht ein Gründer, Arbeitssuchender? Warum ist es in Singapur und Estland – aber nicht Deutschland – möglich, mein Unternehmen in nur einem Tag und online anzumelden? Außerdem könnten Behörden Bürgerservices konsequenter personalisieren – also z.B. automatisierte Erinnerungs-Emails versenden, wenn ein Reisepass abzulaufen droht.

Eine Digitalisierung staatlicher Services würde auch den Austausch und die Kommunikation mit staatlichen Stellen vereinfachen. Für private Dienstleister sind Kunden-Feedbacks essentiell, um Kundenerlebnisse laufend zu verbessern. Bürgern sollten wir diese Möglichkeit auch geben, so können mithilfe von Datenanalysen schnell Friktionsstellen ausfindig gemacht und ausgebessert werden sowie gute Beispiele, wie z.B. herausragendes Engagement von Service-Mitarbeitern, herausgestrichen und auch belohnt werden.

Sicherlich bergen neue Technologien auch Risiken und wir müssen weiterhin konsequent die Privatsphäre von Bürgern gerade auch im digitalen Zeitalter wahren und proaktiv schützen. Dennoch wünsche ich mir mehr Mut und Offenheit, Prozesse neu zu denken sowie den Willen, sich als wahrer Dienstleister für den Bürger zu verstehen. Digitale Technologien bieten die Grundlage dafür, dies effizient und kostengünstig umzusetzen – und wer weiß vielleicht wäre es sogar möglich, Menschen, die einen Online-„Behördengang“ tätigen, auch noch für politische Themen abzuholen, über anstehende Entscheidungen zu informieren und ihre Meinung einzuholen. Wenn Staat ein bisschen mehr Spaß und weniger Mühe macht, involvieren sich Bürger vielleicht auch wieder lieber am politischen Prozess.

Von Nicole Büttner-Thiel.