[Juliette 1/2018] – Kommunale Wohnbaupolitik. Haben wir ein Gerechtigkeitsdefizit?

Jeder Mensch braucht ein Zuhause. Doch Deutschlands Metropolregionen leiden unter einem akuten Wohnungsmangel. Mit dem Ethos der rawlsschen Theorie der Gerechtigkeit möchten wir prüfen, ob der faire Zugang zum Grundgut „Boden“ in dieser Gesellschaft trotz der ökonomischen Unterschiede immer noch einem gerechten Ungleichgewicht unterliegen. Bei der Ursachenfindung ist sich Deutschlands Parteienlandschaft einig: Der Boden selbst ist zu teuer. Die Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigt auf, dass die Bodenpreise zur individuellen Bebauung von 2011 bis 2016 um 27 Prozent, in den kreisfreien Großstädten gar um astronomische 42 Prozent gestiegen sind. Der Bruttolohn des deutschen Arbeitnehmers stieg zeitgleich um 10,8 Prozent an (Statista). Wie viel Fantasie benötigt man, um zu erkennen, dass der Endverbraucher nach Entwicklung und Umsetzung von Immobilienprojekten ordentlich draufzahlen muss? Klartext: Eine zentrumsnahe, gewöhnliche Eigentumswohnung in Köln oder Frankfurt kostet aktuell im Schnitt 4.200 € / m². Für den Industriemechaniker und die Einzelhandelskauffrau unbezahlbar. Die Folge ist eine zunehmende Zersetzung der Städte, der Begriff vom Wohlstandsghetto wird mancher-
orts vom schlechten Witz zur bitteren Realität. Damit der Wohnungsmarkt sich entspannt, fordern die Freien Demokraten u.a. die Zweckbindung der Bundesmittel zur Wohnbauförderung, Nachverdichtung vorhandener Quartiere, das Streichen der Grunderwerbsteuer bis 500.000 € und die Ausweisung neuer Baugebiete. Ob diese Heilsalben-Kombination alleine in Anbetracht der Wachstumsprognose und der Flüchtlingskrise fairen Zugang zu Wohnen für Menschen in Zukunft wieder gewährleisten kann, das hat erfahrungsgemäß begründete Zweifel. Deutschland muss die Initiative ergreifen. Einverstanden mit dieser Motivation ist der Leiter des Heidelberger Mietervereins, Christoph Nestor, mit dem ich in einem offenen Gespräch über seine Kritik an „der Markt regelt das“ und meiner Absage an die ideologisch motivierte „Mietpreisbremse“ sprechen durfte. Nestor schildert am Beispiel des hiesigen Stadtteils Bahnstadt jedoch glaubwürdig, was passiert, wenn von der Stadt erworbene Konversionsflächen an „rein renditeorientierte Investoren“ vergeben werden: Die Mietpreise stiegen nochmal an, obwohl selbst geförderte Wohnungen im Angebot stehen. Nestor lobt das Heidelberger Mischmodell der „Mark Twain Village“, das er selbst mitgestaltete. Hier investiert ein Bündnis aus genossenschaftlich organisierten Banken und Wohnungsbauunternehmen sowie der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GGH rund 320 Millionen Euro in Neubau und Sanierung von etwa 1.300 Wohnungen. 70 Prozent davon werden nach dem wohnungspolitischen Konzept der Stadt Heidelberg als preiswerter Wohnraum angeboten, die anderen 30 Prozent auf dem freien Markt. In Anbetracht der großen Not ist es an der Zeit, dass auch die Jungen Liberalen sich Gedanken darüber machen, ob solche Konzepte im Geiste der Freiburger Thesen nicht etwa aus planwirtschaftlicher Willkür, sondern vielmehr aus einer Natur sozialliberalen Politik heraus verstanden und politisch vertreten werden sollten.

 

Von Carlo Montrasio