[Juliette 3/2018] – Brücken bauen in Usbekistan

Unser Vorsitzender Valentin vertrat die jungliberale Stimme diesen Frühling bei einer Konferenz in Taschkent, Usbekistan. Er berichtet von Hoffnungen, Zweifeln und Macht.

Es war kurz vor Weihnachten letzten Jahres, als ich mich mit zwei Getreuen an das (überfällige!) Entrümpeln unserer Landesgeschäftsstelle gemacht habe. Zwischen Werbemitteln und acht Jahre alten LaKo-Unterlagen versteckt – ein wahrer Schatz!

Die Juliettes aus 35 Jahren JuLis Baden-Württemberg eröffneten sich uns und mit ihnen das geballte Gedächtnis unseres Landesverbandes. Besonders gefesselt hat mich dabei eine Ausgabe aus dem Herbst 1987. In eben dieser Ausgabe wurde inmitten von Glasnost und Perestroika eine Exkursion in die Sowjetunion angeboten, genau genommen nach Turkmenistan. Ich hätte mir nicht vorstellen können, schon wenig später einen Anruf zu erhalten, der mich für die JuLis in genau diese Region der Welt, nach Zentralasien, einlädt…

Für Global Bridges e.V., einen Verein, der sich für die Stärkung der transatlantischen Partnerschaft einsetzt, durfte ich zusammen mit Vertretern zwischen 25 und 35 aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft über Wege diskutieren, eine offene Gesellschaft und wirtschaftliche Liberalität auch in Gegenden der Welt zu tragen, die bislang eher unter dem Radar Europas und Amerikas ein Schattendasein fristeten.

Eines dieser Länder ist das – zugegeben vom Atlantik recht weit entfernte – Usbekistan; ein Land, in dem man aktuell eine Aufbruchstimmung verspüren kann, die vielleicht ein wenig mit dem vergleichbar ist, was unsere JuLi-Ahnen damals Ende der Achtziger erlebt haben müssen.

Vor der eigentlichen Tagung hatte ich die Gelegenheit, dieses faszinierende Land zweieinhalb Wochen während einer Rundreise entdecken und erleben zu können. Und trotz (oder vielleicht gerade wegen) all der gesammelten Eindrücke fällt es mir schwer, dieses Land zu verorten. Denn Anspruch und Wirklichkeit klaffen allzu oft auseinander.

Damit meine ich nicht einmal die ganz offensichtlichen Kontraste. All die liebevoll restaurierten Karawansereien entlang der Seidenstraße tête-à-tête mit brutalistischer Architektur der Sowjetzeit. Die saftig grünen Bergtäler an der Grenze zu Kirgistan versus die menschenfeindliche, pestizid- und herbizidverseuchte Salzwüste, die einmal der Aralsee war. Oder der mitunter bizarre Gegensatz zwischen siebzig Jahre lang staatlich verordnetem Atheismus und einer dem Nationbuilding geschuldeten Wiederbesinnung auf die islamische Kultur der Vorfahren.

Nein, was Usbekistan im Jahr 2018 tatsächlich spaltet, ist die Frage, ob man den isolationistischen Weg des 2016 verstorbenen Autokraten Islom Karimov fortführen oder jene zarte Knospe der politischen und wirtschaftlichen Liberalisierung kultivieren möchte, die unter seinem Nachfolger Shavkat Mirziyoyew gesprossen ist.

Ausgerechnet Mirziyoyew, jener Altkader und politische Ziehsohn des alten Machthabers. Er war es, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den rückständigen Staat ins 21. Jahrhundert zu befördern. Die Landwirtschaft, die in einem der trockensten Teile der Erde weitestgehend auf dem bewässerungsintensiven Anbau von Baumwolle basiert, endlich zu mechanisieren. Grenzkonflikte zu entspannen. Tourismus zu befördern. Und gleichzeitig immer noch Homosexualität unter Strafe zu stellen und Journalisten in ihrer Arbeit zu behindern.

Fürwahr, viele Punkte auf der politischen Agenda werfen Fragezeichen auf, sind in sich widersprüchlich. Was jedoch offensichtlich ist, ist wo Mirziyoyew seine politische Basis hat – bei der Jugend des Binnenstaates. Während andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion noch heute an einer Mischung aus niedrigen Geburtenraten durch wirtschaftliche Instabilität und einem wahren Exodus junger Erwachsener in den Raubritterjahren der Neunziger leiden, hat Usbekistan weitestgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit seine Einwohnerzahl seit der Unabhängigkeit 1991 nahezu verdoppelt. Entsprechend jung ist die Gesellschaft des Landes. Mit dieser neuen Generation Usbekistan ins Gespräch zu kommen, ihre Sorgen und Hoffnungen zu verstehen, war eines der Ziele unserer Reise. Hoffnungen, die sich gar nicht so sehr von den unsrigen unterscheiden.

Auch die jungen Usbeken sehen die Probleme ihres Landes, beginnend bei fehlenden Bürgerrechten bis hin zu Fehlallokationen der immer noch vorherrschenden Planwirtschaft. Egal ob persönliche Freiheit oder wirtschaftlicher Aufstieg: der Ruf der Usbeken nach Reformen wird lauter. Und er findet Verbündete.

Denn längst ist das neben Liechtenstein einzige Double Landlocked Country der Welt aus dem Schatten seines Nachbarn Kasachstan getreten und buhlt mit ihm um die Hegemonialstellung in einer Region, die sich verstärkt als Bindeglied zwischen Europa und Asien sieht. Die Neuauflage des Great Game hat längst begonnen, an die Stelle der von internen Querelen gezeichneten Veteranen Russland und Großbritannien sind China und die Europäische Union zunehmend als die neuen geopolitischen Kombattanten getreten.

All das stattet die neue Regierung mit einer bislang nicht dagewesenen Macht aus. Wenngleich die ersten Signale aus Taschkent konstruktiv erscheinen, so gilt es für den Westen, den Reformprozess kritisch zu begleiten und Missstände offen anzusprechen. Konstruktiv und kritisch… das klingt nach einer Aufgabe für Junge Liberale.


Valentin Christian Abel ist Landesvorsitzender der JuLis Baden-Württemberg