[Juliette 3/2018] – Digital First – Thinking Zeroth

Die Digitalisierung ist bekanntlich eine ganz famose Sache und wir sollten alle noch viel mehr Foo N-Punkt-Null machen.

Im Grundsatz ist es sicherlich nicht verkehrt, dass fortschrittliche Technologien nutzbringend eingesetzt werden können. Die mannigfachen Möglichkeiten, die sich der Menschheit durch die Innovationen im IT-Bereich aufgetan haben, stellen eine der radikalsten Zäsuren der Technikgeschichte dar, und konfrontieren unsere Spezies mit Möglichkeiten und Herausforderungen, deren Ausmaß und Tragweite mit jenen durch die Erfindung des Verbrennungsmotors, des elektrischen Stroms oder der Nukleartechnik in jedem Fall vergleichbar sind oder diese sogar noch übertreffen. In einem Zeitrahmen von wenigen Jahrzehnten sind Dinge nicht nur prinzipiell möglich, sondern auch für die breite Masse Gang und Gäbe geworden, die zuvor ganz und gar undenkbar schienen. Dies sind fraglos spannende Zeiten. Aber Dinge werden nicht notwendigerweise dadurch spannend, dass sie Fragen aufwerfen, deren Antworten in jedem Fall trivial sind.
Bis vor Kurzem waren nicht nur der breiten Bevölkerung sondern auch den gesellschaftlichen Meinungsmachern und politischen Entscheidungsträgern die Bedeutung und die Konsequenzen der Digitalisierung nicht annähernd bewusst. Computer waren noch bis vor wenigen Jahren etwas, womit sich nur wenige skurrile Typen freiwillig auseinandersetzen wollten.

Diese Wahrnehmung hat sich in jüngster Zeit drastisch geändert und das Pendel schlägt aktuell kräftig in die Gegenrichtung aus. Digital und vernetzt zu sein gilt inzwischen in quasi allen gesellschaftlichen Kreisen und Schichten als cool. Hochpreisige IT-Produkte sind zu sozialen Statussymbolen geworden, die sich anschicken, dem klassischen PKW mittelfristig den Rang abzulaufen. Private wie gewerbliche Anwender überbieten sich darin, auch in den letzten Ablauf irgendwie eine digitale Komponente einzubauen.

Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2017 ist das Thema Digitalisierung auch in der Bundespolitik angekommen. Dass dem so ist, ist nicht zuletzt das Verdienst der Freien Demokraten, denen zumindest zugute zu halten ist, einige thematisch relevante Schlagworte in den Raum geworfen zu haben. Fraglich scheint mir allerdings, ob es zielführend ist, gebetsmühlenartig zu wiederholen, welch großartige Chancen sich insbesondere der Wirtschaft durch die Möglichkeiten der Digitalisierung auftun. Wenn eine Technologie für einen bestimmten Einsatzzweck in einer bestimmten Branche einen ökonomisch signifikanten Vorteil zu bieten vermag, habe ich im Zweifel mehr Vertrauen in die wirtschaftlichen als in die politischen Entscheidungsträger, dies zu erkennen. Und dort, wo Buzzwords cool klingen aber keinen messbaren Mehrwert liefern, bedarf es einer Belehrung seitens der Politik erst recht nicht.

Digitalisierung ist nicht aus Prinzip etwas Gutes, sondern – wie alles andere auch – genau dann gut, wenn sie eingesetzt wird, um Gutes zu erreichen.

Anstatt einem gedankenlosen Einsatz von tatsächlich oder vermeintlich innovativer Technologie das Wort zu reden, sollte sich die Politik meines Erachtens vermehrt der Frage widmen, was sie dazu beitragen kann, Menschen in die Lage zu versetzen, selbständig verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

Diese Aufgabe ist alles andere als trivial. Der Handlungsbedarf ist enorm und die Zeit drängt. Eine notwendige Voraussetzung ist sicherlich ein gewisses Maß an technischer Kompetenz. Nur wenn es gelingt, der breiten Bevölkerung zumindest grundlegende mathematische und ingenieurstechnische Kenntnisse zu vermitteln, können wir hoffen, dass der demokratische Diskurs und wirtschaftliche Wettbewerb in einer digitalen Welt funktionieren.

Aber es wäre wohlfeil, ausschließlich an die Entscheidungskompetenz des Einzelnen zu appellieren, diesem jedoch die im Einzelfall erforderlichen Informationen vorzuenthalten. Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Transparenz im IT-Bereich zu verbessern. Hardware sollte nur zusammen mit nachvollziehbaren Spezifikationen als vollwertiges Produkt angesehen werden und proprietärer Software, deren Funktionsweise nicht nachvollziehbar ist, sollte grundsätzlich misstraut werden. Im öffentlich-rechtlichen Bereich, wo kaum Wettbewerbsdruck besteht, ist der Gesetzgeber aufgerufen, sicherzustellen, dass Behörden ihren gesetzlichen Auftrag pflichtgemäß wahrnehmen. Der Einsatz offener Hardware und freier Software mit öffentlich spezifizierten Schnittstellen sollte daher die Regel sein.

Gleichzeitig muss sich in der Softwaretechnik ein Verständnis von geteilten minimalen Qualitäts- und Ethikstandards etablieren, die zum integralen Bestandteil des Selbstverständnis jedes Ingenieurs werden müssen.

Schließlich aber muss es der Staat umgehend unterlassen, in grundrechtswidriger oder zumindest unmoralischer Weise die Sicherheit von IT-Systemen aktiv zu untergraben. Kein staatliches Ziel – und mag es noch so legitim sein – vermag es zu entschuldigen, das Vertrauen der Allgemeinheit in unsre kritische Infrastruktur zu erschüttern. Sicherheit und IT-Sicherheit sind keine Widersprüche, sondern können nur gemeinsam erreicht werden. Und auch die Digitalisierung ändert nichts an der alten Weisheit, dass der Staat im Zweifel besser beraten ist, konservative Zurückhaltung anstatt schnellem Aktionismus zu praktizieren.


Moritz Klammler ist Beisitzer im Kreisvorstand der JuLis Karlsruhe