[Juliette 1/2019] – CRISPR CRISPR Cas9 – wer knuspert an meiner DNS?

Stell dir vor, du bist ein Kind, kommst auf die Welt, und stellst fest, dass du am ganzen Körper tätowiert bist. Außerdem ist mit deiner Hand eine Tätowierpistole verwachsen, und dein Kopf kriegt aufgrund eines Einbaus den Befehl nicht los, dass auch du deine Kinder vor ihrer Geburt am ganzen Körper tätowieren wirst. Obwohl die Tätowierung von deinen Eltern wohlmeinend geplant war, hat sie dich verunstaltet – erfolgloser statt erfolgreicher gemacht. Und es kommt noch schlimmer: Auch deine Nachkommen werden die Veränderung weitergeben müssen. Hättest du selbst entscheiden können, hättest du das für keinen Vorteil der Welt riskiert – aber du würdest nie gefragt, sondern im Mutterleib verunstaltet.

Dieses Gedankenexperiment ist die drastische makroskopische Analogie zu einem Kind, das nach einer Keimbahn-Gentherapie als „Desginerbaby“ auf die Welt gekommen ist. So geschehen jetzt in China, und neben Bioethikern sind Genforscher schockiert, denn auch sie finden das, was Prof. Je getan hat, nicht gut. Und sie beweist sowohl, was für ein gewaltiger sozialer Sprengsatz in der Möglichkeit zu Gentherapien liegt (im Verhältnis von Eltern zu Kindern), als auch warum das Embyonenschutzgesetz Keimbahn-Eingriffe in Deutschland derzeit unter Strafe stellt. Denn wer die Erbanlagen seiner Kinder verändert, zwingt damit seinen Willen auch den Enkeln auf. In letzter Konsequenz würde dies das Ende der Selbstbestimmung bedeuten und uns Jahre zurückwerfen. Es würde uns in eine Zeit zurückschicken, in der man als Kind nicht mehr zur Selbstständigkeit erzogen wird und sukzessive immer mehr Entscheidungsgewalt über sein Leben und seinen Körper von den Vormündern zurückerhält, sondern stattdessen in einer von den Vorfahren verschandelten Welt aufwächst. Man wäre lediglich das Eigentum seiner Eltern, selbst verschandelt am Körper und – sobald man durchschaut, was gelaufen ist – auch an seiner Seele.

Die größten Bedenken werden zurecht zur Zeit gegenüber dem Ansinnen erhoben, „Designerbabies“ zu schaffen – etwas, das zur Zeit zum Glück noch technisch kaum möglich ist. Dies würde über die Möglichkeit, dass reiche Menschen immer erfolgreichere Nachkommen hinterlassen, nicht nur zu einer gravierenden sozialen Spaltung führen (die „Schere“, die manche linke Politiker zur Zeit überall zu erkennen meinen, wäre damit exponentiell selbstverstärkend wirklich da) – es würde auch die Leistungsgesellschaft selbst aus den Angeln heben, in der derzeit jeder aus der Mischung aus eigenen zufällig ererbten körperlichen, geistigen und finanziellen Möglichkeiten selbst das Beste für sich machen darf – aber weder zu Zielen verdonnert, noch unfair bevorzugt oder gehemmt werden darf.

Insofern ist verständlich, warum das Embryonenschutzgesetz – nach einer Enquète-Kommission des Bundestages unter Mitwirkung unserer Partei 1987, im Jahr 1991 weitsichtig verabschiedet – hier eine klare rote Linie definiert hat. Und wie diese Linie motiviert war.

Als Postdoc in der Biochemie habe ich aus eigener Hand im Genlabor erlebt, welche ungewollten Effekte fern des Ziels die neu entdeckten Gen-Scheren CRISPR/Cas9 bewirken können. Sie sind alles andere als deterministisch genau. Aber es stimmt, dass sie die Möglichkeit eröffnen, zielgerichteter als je zuvor in die DNS einzugreifen. Dadurch eröffnen sie vorzügliche Möglichkeiten, wenn man weiß, was man tut – und was man nicht wollen sollte. Solange es um Gen-Weizen geht, habe ich damit kein Problem – haben doch auch die besten Virologen und Krebsforscher bisher nicht zeigen können, dass sich gentechnisch hergestellte Lebensmittel irgendwie negativ auf die Gesundheit auswirken. Aber genauso wie ein Weizen kein Baby ist, ist ein Baby kein Stein: Pflanzen haben weder Schmerzen noch Selbstbewusstsein. Wo die Skeptiker zu pessimistisch das Kind mit dem Bad ausschütten, sind die Optimisten unethisch sorglos.

Ebenso weiß ich aus meiner Forschung als Doktorand, dass es auf allen Ebenen der Informationsverarbeitung in Zellen Punkte gibt, wo hochkomplexe Regulation wirkt, die wir gerade erst zu verstehen beginnen. Von der DNS, die als „Kochbuch“ gleichsam die Information über den Bau der Proteine sicher verwahrt, und die vielschichtigen Bedingungen ihres Ablesens – über die „Abschrift“ mRNA, die als Billigkopie schnell und günstig vervielfältigt und an die vielen molekularen „Köche“, die Ribosomen verteilt werden kann – bis hin zum „Koch“, dem Ribosom, das für dieselbe Zutat – Aminosäuren – in Menge und Genauigkeit auf „Dialekte“ Wert legt, in denen es seine Befehle erhält, weil es alle Gene gleichzeitig aber in verschiedenen Situationen gerecht bedienen muss und sich nach Angebot und Nachfrage richtet…

Die vielen Mechanismen, wie die Zelle eben nicht nur nach dem simplen Dogma „DNA wird RNA wird Protein“ durchregiert, sondern in wechselnden Koalitionen das „Konzert“ der Gene sich nach dem „Dirigenten“ Umwelt richtet mithilfe des „Taktstocks“ Biokybernetik – wir kratzen wahrhaft erst an der Spitze des Eisbergs. Genau diese verborgenen, vieldimensionalen Ebenen von Komplexität sind es aber, die die wenigen Keimbahn-optimistischen Journalisten, aber auch Mediziner und Forscher, vermissen lassen, neben dem mangelnden Nachdenken über Ethik und Selbstbestimmung der Kinder. Auch Gentherapie ist nicht Gentherapie.

Es gibt eine andere, freiheitsphilosophisch viel unbedenklichere Möglichkeit, einem Menschen zu helfen, der aufgrund nicht durchschnittlicher Gene leidet: Die somatische oder „Körperzell“-Gentherapie. Hier flitzen „Vektoren“, zum Beispiel Viren, durch den Körper. Als kleine Helfer bringen sie neue Gene ans Ziel, aber nur in die aufbauenden funktionalen Zellen des Körpers. Die Gene der Samen und Eizellen bleiben, wie sie sind. Der große Vorteil ist, dass man sowohl einen Patienten durch Veränderung seiner DNA heilen kann, als auch seinen Nachkommen die eigenen Entscheidung lassen.

Auch die somatische Gentherapie ist nicht ohne Risiken, wie der tragische Tod von Jesse Gelsinger 1999 zeigt. Hier wurde aus meiner Sicht unverantwortlich eine relativ geringe Krankheit aus Geltungssucht und Profitgier unnötig zu verschlimmbessern versucht. Ein Vorfall, der zeigt, dass bei hochkomplexen Entscheidungen die etablierten Regeln für Heilversuche und Arzneimittelstudien, wie sie die Good Clinical Practice for the International Clinical Harmonisation (ICH-GCP) und das Arzneimittelgesetz (AMG) zurecht als Folge aus den Verbrechen der Nazi-Ärzte in KZs und dem tragischen Contergan-Skandal der jungen Bundesrepublik streng definiert haben, richtig und wichtig für den Schutz der Patienten vor unethischer Behandlung und Gefahr, aber auch zum Schutz der Forschung vor Fälschung sind.

Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Theoretisch könnte man durch Keimbahn-Gentherapie einen Patienten „vorladen“, der eine „schlummernde“ Heilung trägt, aber erst durch Einnahme einer Pille freiwillig „auslösen“ kann – oder es lassen. Das System nennt sich Cre/lox und steht genau zwischen den alten „Scheren“ Restriktionsendonuklease und CRISPR. Aber auch hier wäre nur die Selbstbestimmung in Bezug auf die Heilung des Körpers gewährleistet, nicht in Bezug auf die Unverändertheit der Abstammung – die Frechheit, nach dem Gutdünken der Eltern schon verändert auf die Welt gekommen zu sein, obwohl man lieber die alten Gene gehabt hätte, bliebe bestehen – mit allen Restrisiken.

Insofern finde ich es löblich, dass die JuLis Baden-Württemberg sich in einem Antrag des LAK Gesundheit kritisch mit dem Status quo, aber auch der Zukunft auseinandergesetzt haben. Er rät aus den oben genannten Risiken grundsätzlich dringend davon ab, die Keimbahn-Gentherapie anzustreben, und empfiehlt ausdrücklich die somatische Gentherapie. Lediglich für einen schwierig abzuwägenden Grenzfall können sich die JuLis vorstellen, doch das Embryonenschutzgesetz anzutasten: Wenn ein nicht-lebensfähiger Embryo so lebensfähig gemacht, oder eine schwerste geistige oder körperliche Behinderung vermieden werden soll. Zumindest von der Abwägung zwischen Chance und Risiko für den Patienten eine vielleicht gerade noch so tragbare Überlegung – solange, und das sage ich deutlich, solange es dabei bleibt, und niemals eine „Verbesserung“ erlaubt wird. Und nur solange uns allen klar ist, dass Respekt für Behinderte uns Hilfsbereitschaft für sie bleiben müssen, auch und gerade wenn Nachgeborene mit derselben Anlage gesund aufwachsen können aber nicht müssen – und wenn niemand zu einer Therapie gezwungen oder überredet wird. Persönlich denke ich allerdings, weil all dies leider auch Jahrzehnte nach den Eugenik-Verbrechender „Euthanasie“ immer noch nicht selbstverständlich ist, dass die Befürworter einer roten Linke mit Angst vor einem Dammbruch bei Ausnahmen Recht haben – und dass wir das Embryonenschutzgesetz zu unseren Lebzeiten besser nicht einmal in Ausnahmefällen antasten sollten.


Dr. Wolf Hirschmann ist Ombudsperson der JuLis Baden-Württemberg und studierter Biochemiker.