[Juliette 3/2019] – Schweigen ist Silber, Reden ist Gold – Dialog mit Russland wagen

Die Basis von Dialog war schon immer das Eingehen auf die Positionen und Sichtweisen des Anderen. Das Eingehen auf andere Positionen ist immer dann besonders schwierig, wenn sie mit den eigenen unvereinbar sind. Dennoch ist es genau das, was Dialog einerseits reizvoll, aber andererseits auch schwierig macht und es erklärt möglicherweise auch ein Stück weit, warum wir besonders in schwierigen Beziehungen den Austausch vermeiden. In Bezug auf Russland wird dies besonders deutlich.
Spricht man offen darüber, dass es an der Zeit sei, eine neue Russland-Politik voranzutreiben, ist man sich schnell der in der deutschen Publizistik hochgezüchteten Bezeichnung des sogenannten „Russland- oder Putin-Verstehers“ sicher. Umgekehrt, in Russland gibt es kein Pendant zu dieser Begrifflichkeit, es gibt nicht den „Deutschland-Versteher“. Aber wenn man einander nicht mal versteht, wie will man dann Dialog führen? Als Anregung an jene, die sich hier wiederfinden, möge die Frage gerichtet sein, was damit bezweckt wird, das „Verstehen“ in einen negativen Kontext zu versetzen.

Gerade in schwierigen Zeiten, und das wissen wir als Liberale besonders gut, ist der Dialog unerlässlich, auch weil er schon immer einen pragmatischen Lösungsansatz bietet. Vor allem schließt Dialog die Äußerung von Kritik und von unterschiedlichen Auffassungen nicht aus, sondern ausdrücklich ein.

Als Liberale verfolgen wir die Politik Russlands mit großer Sorge. Russland hat seine politische und gesellschaftliche Modernisierung noch vor sich und wir betrachten es zurecht mit Besorgnis, wie seit dem Amtsantritt von Vladimir Putin im Jahr 1999 die Presse- und Meinungsfreiheit systematisch abgeschafft wird, wie Oppositionspolitikern, wie zum Beispiel Alexander Nawalny, die Teilnahme an der politischen Debatte untersagt wird und auch wie die unverhandelbaren Rechte von Minderheiten mit Füßen getreten werden. Selbstverständlich darf kein westlicher Politiker über diese Missstände hinwegsehen.

Die globalen Krisen unserer Zeit können nur mit multilateralem Handeln gelöst werden. Kein Staat der Welt, sicher auch nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, kann die globalen Bedrohungen im Alleingang lösen. Wir werden aber ein stabiles Russland als Partner brauchen, um beispielsweise die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die Millionen von Menschen zur Flucht veranlassen, zu beenden. Angesichts dessen darf es nicht im Interesse Deutschlands, im Interesse der europäischen Union und auch nicht im Sinne der USA sein, dass Russland instabil ist und als Gegner agiert, anstatt als Partner.

Für die Vereinigten Staaten jedoch ist das Verhältnis zu Russland ein Thema globalen Wettbewerbs. Beide Seiten konkurrieren auf einem Level, welches wir als Deutschland allein nie und nur mit der europäischen Union gemeinsam erreichen können, unter anderem auch mit China über globale Interessen. Daher haben die USA aus macht- und geostrategischen Überlegungen eher Interesse an einem schwachen Russland. Unser deutsches und auch europäisches Interesse unterscheidet sich davon ganz entscheidend. Die Geschichte lehrt, dass immer dann, wenn es um die Beziehung nach Russland schlecht stand, wir unerträgliche Verhältnisse auf unserem Kontinent zu ertragen hatten, die nur in Zeiten guter Beziehungen nach Russland Hoffnung auf Besserung zugelassen haben.

Aktuell erleben wir, wie Friedrich Merz es zuletzt betont hatte, die Abkehr der globalen Nachkriegsordnung. Die Vereinigten Staaten von Amerika sehen unter Präsident Trump ihre strategische Aufgabe in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg als beendet an. Die Chance der Präsidentschaft Trumps liegt unter Umständen darin, uns als Deutsche und als Europäer eigenständiger zu entwickeln und im Hinblick auf Russland unsere Interessen von den geopolitischen Interessen der USA abzukoppeln.
Auch wirtschaftspolitisch liegt uns viel an einem guten Verhältnis zu Russland. Deutlich wird dies besonders im ostdeutschen Raum, wo Unternehmer unter den Wirtschaftssanktionen mehr leiden als in Westdeutschland. Auch die kulturellen Verflechtungen sind hier deutlich stärker ausgeprägt als bei uns, lassen wir Baden-Baden als Erholungshort der Russen außen vor. All dies gilt es zu bedenken, wenn wir die weitere Abkehr von Russland fordern.

Natürlich gibt es auch gute Gründe für diese Abkehr, das Völkerrecht steht immer über der Wirtschaft. Trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und des Krieges mit tausenden Toten in der Ukraine bleibe ich Optimist. Uns kann es gelingen, Russland auf Dauer wieder näher an die EU heranzuführen, uns kann es gelingen, auch den Russlanddeutschen wieder einen Platz in unserer Mitte zu geben, und mit Pragmatismus und kleinen Lösungsschritten kann es uns auch gelingen, die großen Konflikte zu lösen.

Die aktuellen Formate des Dialogs müssen bestehen bleiben und alte wieder aufgegriffen werden. Das eine Format, ob bi- oder multilateral, darf ein anderes niemals ausschließen. Die Wiederaufnahme Russlands zur G8 könnte beispielsweise ein kleiner und erster Schritt in die richtige Richtung sein. Über dieses und weitere Formate kann das Vertrauen, welches in der internationalen Politik eine ganz besondere Währung darstellt, ineinander gestärkt werden. Dieses Agieren bedarf Mut, und Mut ist eine gute Tugend.


Sven Nowak ist Kreisvorsitzender der JuLis Heilbronn und Mitglied im Landesarbeitskreis Europa, Außen & Verteidigung.