[Juliette 4/2019] – Deutsches Bankensystem im Wandel – Wohin geht der Weg?

Seit Jahrzehnten ist das deutsche Bankensystem geprägt vom Konkurrenzkampf der Sparkassen und Volksbanken. Was lange als undenkbar galt wird 2019 Realität. Die Frankfurter Volksbank und die Taunus-Sparkasse legen zahlreiche Filialen zusammen. Doch dies ist keinesfalls eine Überraschung, sondern die Fortsetzung des Trends der letzten Jahre. Gab es im Jahr 1990 in Deutschland noch rund 4.700 Kreditinstitute, gibt es Stand 2018 noch rund 1.800 (Quelle: Deutsche Bundesbank). Die Tendenz ist weiter fallend. Ertragseinbrüche aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB, der immer höheren regulatorischen Anforderungen und der zunehmenden Konkurrenz durch Online-Banken wie N26 sorgen für einen starken Kostendruck bei den Kreditinstituten. Als Folgen daraus befinden wir uns aktuell in einem Zeitalter der Filialschließungen und Bankfusionen. Selbst eine Fusion zwischen Commerzbank und Deutsche Bank scheint mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen.

Das deutsche Bankensystem steht vor großen Veränderungen. Die Filiale vor Ort mit persönlichem Bankberater gehört wohl schon bald der Vergangenheit an. Schon heute geht die Tendenz immer stärker in Richtung zentralisierter Beratung. Digitale Konzepte wie die Videoberatung über die „VR-SISY“ ermöglichen dies zugleich mit einer regionalen Abdeckung. Eine Rettung der Filialen ist die „VR-SISY“ jedoch nicht. Der Prozess der Filialschließungen wird damit lediglich abgebremst.

Eine Ursache für diese Entwicklung ist die geringe Nutzung der Filialen vor Ort. Dabei ist diese Situation durchaus auch ein durch die Banken selbst verursachtes Problem, denn wer nutzt eine Bankfiliale, wenn er zeitgleich arbeiten muss? Wo ein Einzelhändler seine Öffnungszeiten dem Kunden anpasst um Filialen rentabel zu halten, zeigt sich die Bankenbranche unflexibel. Man möchte meinen, dass die Kreditinstitute gar kein Interesse daran haben die Filialstruktur überleben zu lassen. Problematisch dabei ist, dass der Vorteil einer örtlichen Volksbank oder Sparkasse gegenüber einem überregionalen Kreditinstitut aufgrund der Filialschließungen für viele Kunden nicht mehr zu erkennen ist. Mit der zunehmenden Tendenz zum Online-Banking wird dann auch nebensächlich, welches Kreditinstitut der Anbieter ist. Die Kostenvorteile großer Kreditinstitute im Bereich der Gebühren- und Zinsgestaltung erschweren im nächsten Schritt die Konkurrenzfähigkeit kleiner Institute. Dem stimmt auch Isabel Schnabel, Professorin für Finanzökonomie und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zu. Zwar hat sich ihrer Meinung nach das kleinteilige Bankensystem Deutschlands in der Finanzkrise als Stärke erwiesen, jedoch sei durch die immer höheren Fixkosten im Bankgeschäft eine Entwicklung eingetreten, die es kleineren Instituten unmöglich macht, wirtschaftlich betrieben zu werden.

Doch heißt das, dass uns bald eine Revolution unseres deutschen Bankensystems bevorsteht? Ist das 3-Säulen-System bestehend aus öffentlich-rechtlichen, genossenschaftlichen und privatrechtlichen Banken noch zeitgemäß?

Die Antworten darauf können nicht allumfassend gegeben werden. Die Entwicklung hin zu immer mehr Filialschließungen und Fusionen wird jedoch über kurz oder lang kaum aufzuhalten sein. Laut dem Bankenreport 2030 der internationalen Strategieberatung Oliver Wyman wird sich die Anzahl der Kreditinstitute auf nur noch 150-300 im Jahr 2030 reduzieren. Im Zuge dieser Entwicklung wird prognostiziert, dass sich mit FinTechs, Auslandsbanken, Marktinfrastrukturanbietern und internationalen Technologieunternehmen eine vierte Säule im deutschen Bankensektor etablieren wird. Nach Oliver Wyman lassen sich zwei Zukunftsszenarien erwarten. Im ersten Szenario werden bestehende Strukturen durch Kooperationen, erweiterte Geschäftsmodelle und Digitalisierungsinitiativen ergänzt. Das zweite Szenario lässt gegenwärtige Strukturen aufgrund der Adaption neuer Systeme und Prozesse in Verbindung mit der Geschwindigkeit der Entwicklung neuer digitaler Technologien obsolet werden. Eine entscheidende Rolle spielt in beiden Szenarien, dass eine immer stärkere Modularisierung der Produkte und Dienstleistungen stattfindet. So müssen diese nicht mehr zwangsläufig von einem Anbieter kommen, sondern werden vermehrt als Konglomerat verschiedener Finanzdienstleister angeboten. Um auf beide Szenarien vorbereitet zu sein, müssen Kreditinstitute nicht nur ihre Innovationsfähigkeit verbessern, sondern auch bereit sein, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. So könnten laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums in naher Zukunft etwa 70 Prozent der Beschäftigten im Bereich Finanzdienstleistungen, Rechnungswesen und Buchhaltung überflüssig werden. Experten des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung stoßen in eine ähnliche Kerbe. Nach ihnen werden 39 Prozent der Stellen für Bankfachleute in naher Zukunft unnötig. Der These, dass diese Stellen allesamt wegfallen, widerspricht Jochen Werne, KI-Experte des Bankhauses August Lenz. Laut ihm werden die dadurch freigewordenen Bankmitarbeiter stattdessen zukünftig wieder vermehrt in der Kundenberatung eingesetzt. Ob dies dann auch tatsächlich so kommen wird bleibt allerdings fraglich. Schließlich erscheint es doch etwas abwegig, dass die Entwicklung der KI ausgerechnet vor der Kundenberatung haltmachen soll und dort sogar mehr Arbeitsplätze entstehen lässt.

Wohin der Weg des deutschen Bankensystems genau hingeht, bleibt ungewiss. Fest steht jedoch, dass uns in den nächsten Jahren zahlreiche Veränderungen bevorstehen.


Nikolai Ditzenbach ist Student der Bankbetriebswirtschaftslehre und Mitglied im Kreisvorstand der JuLis Karlsruhe.