[Juliette 4/2019] – Kommunalpolitik: Bericht eines Stadtrats aus Sindelfingen

3740 Stimmen, gewählt – als diese grün eingefärbten Worte am 26. Mai auf dem Bildschirm im Foyer des Sindelfinger Rathauses erschienen, war ich überglücklich: Ich wurde als zweitjüngster von 43 Stadträten in den Gemeinderat meiner Heimatstadt gewählt. Mit 14 Kandidaten im JuLi-Alter (von insgesamt 38) stellten wir die jüngste Gemeinderatsliste aller Parteien.

Mit dem zweitbesten FDP-Ergebnis der Nachkriegsgeschichte und einer Verdopplung der FDP-Mandate von 2 auf 4 Räte wurden wir für diesen Ansatz belohnt. Neben mir als JuLi-Stadtrat sind drei weitere JuLis als sachkundige Einwohner, also nicht-stimmberechtigte Mitglieder mit Rederecht, in den Ausschüssen des Gemeinderats tätig.

Kommunalparlamenten hängt der Ruf nach, Altherrengremien mit begrenztem Gestaltungswillen zu sein. Was bewegte meine 13 JuLi-Mitstreiter also dazu, kommunalpolitisch aktiv zu werden? Zur Beschäftigung mit Lokalpolitik kam ich, nachdem ich zuvor bereits in einigen Bürgerinitiativen und Vereinen in der Stadt engagiert war und zum Beispiel als Schüler bei der Gründung des Jugendgemeinderats in Sindelfingen mitwirkte. Der gute Kontakt mit unserem kommunalpolitischen „Urgestein“ und FDP-Landesvorstand Andreas Knapp tat sein Übriges: Beschwingt von seinen Erzählungen, wie er im Jahr 1980 als 20-jähriger in den Gemeinderat gewählt wurde, nahm ich sein Angebot an, an den Fraktionssitzungen der Ratsfraktion als Gast teilzunehmen. Dies tat ich über ein Jahr lang, ehe mich mein Ortsverband im März auf Listenplatz 2 zur Kommunalwahl aufstellte. Es folgte ein achtwöchiger Wahlkampf mit Infoständen, Plakaten, Podiumsdiskussionen, Hausbesuchen und viel Social-Media-Engagement, der letzten Endes von Erfolg gekrönt war.

Am 23. Juli ging die Arbeit dann richtig los – ich wurde vereidigt und gehöre damit offiziell dem Gemeinderat sowie dessen Ausschüssen für Bildung, Digitalisierung sowie für Jugend & Soziales an. In unserer vierköpfigen liberalen Fraktion bin ich zudem stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Mit dem Mandat einher gehen auch Aufgaben als Aufsichtsrat kommunaler Unternehmen, in meinem Fall der Stadtwerke Sindelfingen sowie als Beirat in Zweckverbänden wie dem ZV Kläranlage Böblingen-Sindelfingen. Bildung, Digitalisierung, Sozialpolitik und Energie – ein breit gefächerter Strauß an Aufgaben in völlig unterschiedlichen Themenfeldern. Während mir einige, wie die Jugend- und Sozialpolitik, schon aus der Vereinsarbeit in Sindelfingen geläufig waren, waren und sind andere Bereiche eine echte Herausforderung. Diskussionen über den Heizwert für Klärschlamm, Befristungen von Sozialarbeiterstellen oder Gewerbesteuerrückgänge führte ich bislang nirgendwo außerhalb des Gemeinderats.

Auch mein Alltag veränderte sich seitdem zumindest in Nuancen. So muss man sich als Stadtrat darauf einstellen, um zwei Uhr nachts in der Stammkneipe von Wildfremden gefragt zu werden, ob man sich für oder gegen eine neue Fußgängerzone in der Innenstadt ausspricht. Es wird erwartet, zu nahezu jedem Thema, das die Bürgerinnen und Bürger betrifft, „sprechfähig“ zu sein, eine abgeschlossene Position zu haben – selbst, wenn sie im persönlichen Leben bislang keine Rolle gespielt haben. Die Erwartungshaltung, gewissermaßen Generalist für alles zu sein, ist fraglos herausfordernd, aber auch sehr spannend.

Oft werde ich nach dem zeitlichen und organisatorischen Commitment gefragt, welches mit der Ratsarbeit einhergeht. Pauschal ist das schwierig zu beantworten und hängt stark von der Komplexität und Intensität der Themen ab, die aktuell in Stadt und Rat an der Tagesordnung stehen. Der Gemeinderat tagt in der Regel zweimal im Monat im Plenum aller 43 Stadträte, die Sitzungsleitung hat der Oberbürgermeister inne.

Neben den Anträgen der Fraktionen und Mitglieder des Rats wird dort über Beschlussvorlagen der Verwaltung debattiert und beschieden. Ferner haben sowohl die anwesenden Bürger als auch die Stadträte die Möglichkeit, in einer Fragestunde die Verwaltung – vertreten durch den Oberbürgermeister, die Dezernenten und Amtsleiter – zu Themen ihrer Wahl zu befragen. Oft ist diese Fragestunde auch eine gute Gelegenheit, Herzensthemen öffentlichkeitswirksam vorzutragen, da Pressevertreter zuverlässig zugegen sind und über deren Inhalt berichten. Die Fachausschüsse des Gemeinderats tagen ungefähr ein Mal im Quartal, die Aufsichtsräte der kommunalen Unternehmen ebenso. Dazu kommen Veranstaltungen und Termine außerhalb der Gremienarbeit.

Mehrheiten organisieren, Anträge einbringen, engagiert debattieren – vieles kennt man von Landeskongressen der JuLis. Beeindruckt aber war ich von der Kollegialität und Kooperationsbereitschaft, mit der im Gemeinderat über die Fraktionen hinweg zusammengearbeitet wird. So konzeptioniert meine Fraktion derzeit mit Räten von CDU, SPD und Grünen in enger Abstimmung einen Antrag zur Einführung einer Park-App in Sindelfingen. Ferner ist bei aller Hitzigkeit und Kontroverse das Kriegsbeil außerhalb des Sitzungsaals nahezu stets begraben. Dies gestaltet die politische Kultur im Gemeinderat sehr angenehm. Zudem erlaubt es mir und den 17 weiteren „Neulingen“ im Gremium, uns schnell zurechtzufinden, und kann uns vielerorts auch innerverbandlich als Vorbild dienen.

Kurzum: Kommunalpolitik macht Spaß, erweitert den Horizont und gibt einem als junger Mensch unglaubliche Möglichkeiten, sein Umfeld mit klugen Entscheidungen zu gestalten, zu modernisieren und verbessern.


Maximilian Reinhardt ist Beisitzer im Landesvorstand sowie Stadtrat in Sindelfingen.