[Juliette 1/2020] – Augenkontakt wiederfinden

Im Mai 2018 stellten die Freien Demokraten ihren Bundesparteitag unter das Motto „Innovation Nation“. Damit hat die FDP ihren Anspruch klargemacht, tagesaktuelle Politik an ihrer Innovationsfähigkeit messen zu wollen. Es geht hierbei um nicht weniger als um ein neues Mindsetting. Aber warum ist das notwendig?

Um diese Frage zu beantworten, muss geprüft werden, wer den Wandel im Land vorantreibt. Ist es die Gesellschaft, die Wirtschaft oder doch die Politik? Eine Umfrage im eigenen Bekanntenkreis würde sicherlich ein kontroverses Meinungsbild ergeben. Es könnte 50:50 zwischen Gesellschaft und Wirtschaft ausgehen. Politik würde eine untergeordnete Rolle spielen. Warum? Weil sie eben genau das tut – eine untergeordnete Rolle spielen.

Als Liberale tut uns das zunächst nicht weh. Wir verstehen uns als diejenigen, die ordnungspolitische Rahmen setzen, um Entwicklungen – zum Beispiel den technologischen Fortschritt – in Gesellschaft und Wirtschaft zu gestalten. Wir wollen zukünftige Veränderungen begleiten und gestalten und nicht ideologiegetrieben vorschreiben. Klingt grundsätzlich gut. Leider sehen das die anderen Parteien anders. Bestes Beispiel ist die deutsche Innovationspolitik.

Ihren Ursprung hat diese in der guten alten Industriepolitik der 1950er Jahre. Der Kontakt zwischen Industriebossen und dem Kanzleramt war eng. Man hat sich über die aktuellen Herausforderungen ausgetauscht und war sich schnell einig.
Dann wurde es in den 1970er Jahren komplizierter. Die Wirtschaft wurde globaler, schneller und technisch anspruchsvoller. Der Mittelstand und die Hochschulen waren mittlerweile zu anerkannten Innovationsmotoren geworden und die deutsche Industrie war weltweit konkurrenzfähig. Doch die Erfindungen von Mikroprozessor (1971), Handy (1973) und E-Mail (1971) blieb der Politik zunächst verborgen.

Als dann in den 1990er und 2000er die Welt digital wurde, war es endgültig aus. Die Reaktion auf die allgemeine Überforderung war allerdings verheerend. Linke und konservative Parteien begannen den Fortschritt mit praxisfremden Gesetzen einzudämmen. Anschauliche Beispiele hierfür sind der Umgang mit Kommunikationsdaten, Stammzellenforschung und Gentechnik.

Durch eine solche Politik wird ein technologiefeindliches und fortschrittspessimistisches Klima geschaffen. Die politische Mehrheit in diesem Land hat den Blickkontakt zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt verloren. Augen zu und durch hilft nicht. Stattdessen heißt es jetzt: Blick auf das Wesentliche stellen!

Deshalb kommen wir wieder zu den ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zurück. In unserem Leitbild fordern wir einen unkomplizierten Staat. Dafür braucht es zunächst Mut, denn neue Technologien bringen Ungewissheit mit sich. Diese aber direkt mit Gesetzen zu bekämpfen, ohne dabei die Chancen solcher Innovationen zu fördern, ist der falsche Ansatz. Die Chancen für jeden einzelnen innerhalb der Gesellschaft und nicht die diffusen Ängste des Kollektivs müssen in den Mittelpunkt moderner Innovationspolitik gestellt werden. Deshalb ist vor allem Bildungspolitik immer Teil einer gelungenen, modernen Innovationspolitik und umgekehrt.

Auch rechtliche oder ethische Fragen müssen in diesem Zusammenhang neu diskutiert werden. Wir Freie Demokraten wollen Fragen der Datenanwendung sowie der rechtlichen Ausgestaltung automatisierter Prozesse endlich politisch und gesellschaftlich diskutieren. Während präzise arbeitende Medizinroboter und autonom fahrende Fahrzeuge schon entwickelt sind und die Arbeit aufgenommen haben, verweigern sich die anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag diesen positiven Debatten. Ein solches Verhalten verwehrt den Menschen hierzulande den Zugang zu Innovationen und hängt Deutschland als Innovationsstandort ab.

Das schadet nicht nur der Bundesrepublik, sondern der gesamten Europäischen Union. Nur mit innovativen Produkten kann die europäische Wirtschaft im internationalen Wettbewerb bestehen. Wir wollen mehr Geld für unsere Hochschulen, bessere Möglichkeiten zur Drittmitteleinwerbung und ordnungspolitische Maßnahmen, die nicht nur den stärksten Playern, sondern auch den Newcomern, einen fairen Wettbewerb garantiert.

Es ist dringend notwendig, dass wir in der Innovationspolitik einen Neustart wagen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch! Zudem müssen wir den Austausch mit der Gesellschaft und der Wirtschaft wiederfinden. JuLis und FDP müssen hierbei gestaltungswilliger Treiber sein und von der Gesellschaft auch so wahrgenommen werden.


Mario Brandenburg MdB ist digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.