[Juliette 1/2020] – Deutsche Innovationspolitik

Nicht innovativ und nicht liberal.

Die FDP hat mit ihrem 69. Bundesparteitag die „Innovation Nation“ ausgerufen. Man sei ein Land der Verwalter geworden. Neue Innovationen, wie den Buchdruck, das Auto oder den Computer gäbe es nicht mehr. Diese Forderungen nach einer „Innovation Nation“ liefern aber vor allem Antworten auf die Innovationskraft in Unternehmen. Es geht um den Breitbandausbau. Digitale Freiheitszonen und digitale Bildung sind ein Fokus. Start-ups in einer neuen Gründerzeit, eine digitale Verwaltung und das digitale Gesundheitssystem werden behandelt. Es geht um intelligente Mobilität.

Innovation ist kein Selbstzweck.

Worum es nicht geht, ist eine große Vision für die Antwort auf die Frage „Wofür“. Ja, wo wollen wir denn hin? Zu dem Land der Dichter und Denker, der Tüftler und Erfinder? Wo sind die Chancen, die sich für jeden Einzelnen ergeben aufgrund von Innovationen? Wo ist die klar definierte Position, dass dieser Fortschritt dem Menschen dient?

Dabei können Innovationen auch einen vermeintlichen Rückschritt darstellen. Neben Fridays for Future fordern eine ganze Reihe von Organisationen Degrowth. Ihnen geht es darum, dem Streben nach schier unendlichem Wachstum Einhalt zu gebieten. Im Kollektiv oder auch für sich selbst ganz alleine. Keine Flüge. Vegetarisch statt Fleisch. Windenergie statt Atomkraft. Weil es Ihnen ein legitimes besseres Gefühl, eine größere Verbundenheit mit der Natur oder mehr Zufriedenheit gibt. Aber wer definiert denn auch, dass Innovation stets das Wachstum, den Fortschritt im Sinne des „Mehr“, des „Effizienter“, des „Schneller“ bedeutet?

Persönliche Lebensentscheidungen verdienen Respekt. Sie sind nicht mit #Flugscham oder Diskussionen über Schnitzelverbote, die niemand aber auch gar niemand angestoßen hat, verächtlich zu machen. Diese persönlichen Lebensentscheidungen sind Innovationen im Kleinen, die ihren individuellen Beitrag zu einer Gesamtlösung beitragen. Die FDP spricht bei dem Thema Klima nur darüber, kollektiv nicht verzichten zu wollen, aber nicht darüber selbst zu entscheiden, verzichten zu wollen.

Dazu kommt, dass nicht jedes Problem ist durch Innovation lösbar ist. Das Verbot der FCKWs Anfang der 90er Jahre war eine notwendige und richtige Entscheidung. Wir reden stets davon CO2 einen Preis zu geben, vergessen dabei aber, dass im Grunde genommen jeder Bestandteil der Natur, die schützenswerte Grundlage unseres Lebens, ein Preisschild benötigen würde. Wer vergisst, dass auch die Toxizität, Abbaubedingungen und Wasserverbrauch zum ökologischen Fußabdruck gehören, macht keine zukunftsgerichtete Politik.

Innovation muss Zukunftsfeste Politik sein.

Die frohe Kunde zu verbreiten, der Klimawandel ließe sich ohne Wenn und Aber in jedem Fall durch Innovationen lösen, ist unseriös. Sie missversteht das Wesen von Innovationen und einer staatlichen Innovationspolitik. Letztere optimiert lediglich die Voraussetzungen und Bedingungen für Innovationen, ist aber nicht der Geburtshelfer der gewünschten Innovation.

So sehr es zu hoffen ist, dass wir mit Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen die Mobilität der Zukunft gestalten können, Kernfusion alle Energiebedarfe deckt oder die durch das Weizmann Institut for Science gentechnisch modifizierten Bakterien E. coli, welche als Energiequelle statt Glucose zu CO2 greifen, die CO2-Konzentrationen senken, bleiben diese derzeit in einer Kategorie: Mögliche Zukunftsszenarien.

Die JuLis und die FDP müssen Antworten auf politische Fragestellungen finden, die auch dann funktionieren, wenn Innovationen trotz bester Innovationspolitik ausbleiben. Der Ruf nach einer zukunftsfesten Politik, die Innovationen fördert, und trotzdem einen alternativen Handlungsplan in der Hand hält, lässt sich nicht in “German Mut” oder “German Angst” pressen; sie ist vernünftig.

Konkret für den Klimaschutz heißt das, sich nicht auf Wasserstoffautos zu verlassen, welche seit Jahrzehnten unter Entwicklung stehen und vielleicht langsam ihren Durchbruch feiern könnten. Dort aber soll die höchste Innovationsstufe erreicht sein. Elektroautos von Volkswagen werden mit den Schlagworten „Keine Reichweite“, „Überteuert“, „Und hässlich wie die Nacht!“ betitelt, während das Wasserstoffauto unkritisch in den Himmel gehoben wird. Innovation und Technologieoffenheit als leere Schlagwörter nach dem Prinzip der eigenen Vorstellung von der richtigen Zukunft zu verwenden, ist prinzipienlos.

Innovation ist nicht nur wirtschaftliches Vorankommen.

Besser wäre es, eine breiter angelegte Innovationspolitik für die Innovationsmaschinen im Land, die Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Thinktanks zu betreiben. Diese werden in dem Leitantrag des Bundesparteitags mit einer Agentur für Sprunginnovationen, einer deutsche Transfergemeinschaft und Stipendiatenprogramme, angesiedelt bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und dem DAAD, abgefrühstückt. Reichlich dünn, zumal auch diese Forderungen zumeist der wirtschaftlichen Verwertung von geistigem Eigentum dienen.

Aber Innovation dient nicht per se wirtschaftlichem Fortschritt. Es geht eben nicht nur um Start-ups oder um Unternehmen, die von der Zusammenarbeit mit Hochschulen profitieren sollen, oder die Digitalisierung für den Unternehmer im ländlichen Raum. Innovative Forschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollte keine Richtschnur haben, die unbedingt zur Verwertung führen und das Bruttoinlandsprodukt in die Höhe schnellen lässt. Das ist nicht das Wesen freier Forschung.

Daher ist es schade, dass in dem Leitantrag als Zukunftsfelder lediglich die Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, Robotikstrategie und innovative Werkstoffe genannt und Biotechnologie als reiner Wirkstofflieferant erkannt werden, welche erst mit einem „Proof of concept“ für die Industrie ein Ende der Forschung finden sollen. Wieso sprechen wir bei Innovation nicht über strukturbiologische Analysen von Transportern im Zusammenhang mit Malaria Erregern, die Messung von Gravitationswellen, wie es Forschern der LIGO-Kollaboration 2016 gelang, oder die Entdeckung von leitenden Polymeren?

Blicken wir auf die wirtschaftlich orientierte Innovationspolitik für Hochschulen, so wird auch diese derzeit kaum gefördert. So stoßen beispielsweise Hochschulkrankenhäuser mit ihren Forderungen nach Systemzuschlägen und Zulagen für Transformationsprozesse in der Politik auf taube Ohren. Damit gäbe es die Möglichkeit günstigere Diagnostik- und Operationsmöglichkeiten zu untersuchen und zu etablieren. Stattdessen müssen sie ihre knappen Budgets mit alten, dafür aber kostenintensiven Behandlungen aufbessern.

Innovation heißt auch Teilhabe.

Nicht zuletzt muss Innovation auch das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft erfüllen: Wohlstand und Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger. Viel zu oft heißt es in Diskussionen: „Damit gehen Arbeitsplätze verloren.“. Innovationen lassen sich nicht verzögern. Aber die Antwort, dass Menschen dann im Rahmen vom lebenslangen Lernen umgeschult werden, ist nicht ausreichend. Die persönliche materielle Sicherheit eines Menschen und seiner Familie ist kein Markt.

Das liberale Bürgergeld ist eine der ersten Antworten darauf, wie die Sozialsysteme der Zukunft aussehen könnten. Führende Wissenschaftler weisen völlig zurecht darauf hin, dass die Zukunft den Menschen von Arbeit entbinden und Maschinen die Arbeit überlassen könnte. Aber wie sehen Konzepte der FDP und JuLis aus, eine Finanzierung der Sozialsysteme der Zukunft bei einem solchen Wandel, der einen Wegfall von Lohnsteuereinnahmen bedingen könnte, sicherzustellen?

Mancherorts diskutieren vielleicht auch JuLis Konzepte, wie eine Maschinensteuer. Eine Innovationsbremse sei sie; nicht tragbar für eine Marktwirtschaft im Wettbewerb, kommt es dann vielleicht schnell zurück. Andere meinen, eine kleine Abgabe für Automatisierung sei der richtige Weg. Den Menschen Angst vor Zukunft, Fortschritt und Innovationen zu nehmen, heißt auch hier glaubwürdige Antworten liefern zu können.

Innovation ist auch eine neue Ära der Aufklärung in dem postmodernen Zeitalter. Der Einbezug von Bürgerinnen und Bürger in die Politik oder in Wissenschaft und Forschung im Rahmen von „Citizen Science“ muss diese Aufklärung möglich machen. Eine sich fortlaufend und schneller verändernde Welt braucht daher auch neue Partizipationsmöglichkeiten in der Politik, die über den Petitionsausschuss des Bundestages und privat initiierte Kampagnen und Demonstrationen hinausgehen. Die derzeitigen Parteien bieten nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger dafür keinen hinreichenden Platz.

Innovation ist, selbst innovativ zu sein.

Die FDP fordert stets, dass die Digitalisierung in das ganze Land kommen müsse; in der eigenen Partei zählt viel zu oft nur die Anwesenheit bei dem Kreiskongress. Das Kommunalwahlprogramm wird im Hinterstübchen als Verschnitt von dem Wahlprogramm von vor fünf Jahren und dem Leitantrag der Landespartei zur Kommunalwahl entwickelt. Antragsdiskussionen sind, wenn es zu kurzfristigen Änderungen kommt, so analog wie eh und je. Wie wollen wir überzeugend für Zukunft eintreten, wenn die Erneuerung der FDP und auch der JuLis merklich erlahmt ist? Andere Parteien – dabei handelt es sich aber nicht um die Konservativen –können die Partizipation der Parteibasis und der Öffentlichkeit besser.

Und wie wollen wir glaubwürdig für die Zukunft werben, wenn wir den Nerv der Zukunft nicht treffen? Wer zum Beispiel Nachhaltigkeit in seinem Wahlprogramm im Kontext von wirtschaftlicher Entwicklung genau dreimal am Rande erwähnt und die Verträglichkeit von Umwelt und Wirtschaft unter dem Stichwort „Blaues Wachstum“ in 45 Wörtern abhandelt, braucht sich nicht wundern, wenn Start-up-Gründer und kluge Köpfe im Themengebiet „Innovationen“ nicht an die FDP glauben.

Innovation ist, wenn wir weitermachen. Aber besser.


Lucas Arnoldt ist Mitglied der JuLis Heidelberg.