[Juliette 1/2020] – Über den Sinn der Meisterpflicht

Wie bei so vielen Themen ist die Debatte um die Meisterpflicht sehr ideologisch geprägt. Das wird bereits durch die Wortwahl bedingt: Pflicht. Zwang. Diese Wörter sind dazu verdammt, emotional zu triggern. Doch worum geht es dabei eigentlich?

Was ist die Meisterpflicht?

Seit diesem Jahre ist in 12 Berufen die Meisterpflicht wieder eingeführt worden, unter anderem beim Rollladen- und Sonnenschutzmechatroniker. Mein Chef ist in dieser Branche württembergischer Innungsobermeister, unsere Debatten sind lebhaft. Die Wiedereinführung bringt dieses Thema wieder an die Öffentlichkeit, die meisten reagieren äußerst positiv auf diese Änderung. Meisterpflicht bedeutet, dass die Selbstständigkeit in ausgewählten Handwerksbranchen nur dann möglich ist, wenn der Unternehmer Meister in der Branche ist oder der Unternehmer einen Meister angestellt hat. Der Meisterbrief an sich ist eine Bescheinigung, dass erfolgreich vier Prüfungen abgelegt wurden: Zwei „praktische“ Prüfungen (deren Inhalt stark vom Beruf abhängt. Beispielsweise kann das ein Meisterstück und eine schriftliche Prüfung über Bauregelungen und Physik sein), eine betriebswirtschaftliche Prüfung und der AdA-Schein – die Genehmigung, Lehrlinge auszubilden. Ich sehe die Meisterpflicht als kritisch, aber bedingt notwendig an. Am wichtigsten sind mir drei Aspekte.

1. Aspekt: Gefahrenminimierung

Auch wenn sich das Handwerk gerne als etwas Besonderes darstellen will – es steht vor denselben Problemen wie alle anderen Branchen auch: Wer Unternehmer ist, sollte Ahnung von seinem Fach haben. Diese Selbstverständlichkeit ist mindestens durch Verbraucher- und Arbeitsschutz bedingt. Gewisse Zertifikate und/oder Abschlüsse beweisen, dass der Unternehmer oder ausführende Arbeiter genug Kompetenzen besitzt. In der Handwerksbranche sind das primär Gesellen- und Meisterbrief. Schlecht ausgeführte Handwerksarbeiten können Leib und Leben von Arbeiter und Verbraucher gefährden, Gesellen- und Meisterbrief minimieren diese Risiken durch vermitteltes Wissen, zum Vorteil aller.

Und einen Abschnitt später widerspreche ich mir bereits, denn eine Besonderheit muss man dem Handwerk lassen: Der Gesellenbrief erfordert keinen vorangegangenen Schulabschluss und Unternehmensstrukturen sind häufig atomar und herrlich unkompliziert. Ohne die Meisterpflicht ist die Selbstständigkeit im Handwerk angenehm leicht erreichbar, was gerade liberale Herzen höher schlagen lässt. Alles Weitere regelt der Markt, weitere Markteinstiegshürden seien damit vollkommen obsolet. Diese Aussage ist ein zweischneidiges Schwert. Eine Eigenschaft eines sich selbst regelnden Marktes ist ein automatischer Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Positiv formuliert: Schlechte Anbieter ernten viel Kritik und verschwinden schnell von der Bildfläche. Negativ formuliert: Schlechte Anbieter werden von Nachfragern beauftragt, beide Seiten nehmen dadurch massive Risiken in Kauf. Mir geht es weniger um die Rechtsstreitigkeiten, sondern um die körperliche Unversehrtheit. Eine Markteinstiegshürde ist mehr als notwendig, wenn die Marktregulierung durch Verletzungen funktionieren soll.

2. Aspekt: Ausbildungsrate

Doch das ist nur ein Thema. Eine berechtigte Frage ist: Warum haben Maler und Friseure eigentlich die Meisterpflicht? Der Gefahrenanteil ist vergleichsweise marginal in diesen simpleren Berufen. Das ist keine Diskreditierung. Im Vergleich zu anderen Handwerksberufen neigen die Aufgaben jedoch dazu, stark repetitiv und leicht verständlich zu sein. Hier kommen Lobbyismus und eine mittelständische Verbohrtheit ins Spiel: Eine niedrigere Markteinstiegshürde bedeutet mehr Konkurrenz, mit denen sich die Unternehmer herumärgern dürfen. Das ist für den Einzelnen verständlicherweise schlecht. Dazu kommt, dass diese „neue“ Konkurrenz nicht ausbilden darf – dafür gibt es den AdA-Schein aus den Meisterprüfungen. Das häufig gemalte Horrorszenario ist eine Berufsgruppe, in der niemand ausbilden darf und damit ausstirbt. Das Argument ist bestenfalls schwach, in der Realität brandgefährlich. Friseure ohne Meisterbrief nennen sich Barbiere und frisieren die Haare im Untergeschoss für 10€, natürlich schwarz. Der Malerberuf ist berühmt berüchtigt für die massive Schwarzarbeit und damit einhergehender Pfusch. In beiden Berufen sind die ehrlichen Meister dazu gezwungen, den Niedrigpreiswettkampf mitzumachen. Wer leidet? Die Arbeitnehmer. Maler und Friseur sind die deutlichsten Beispiele für unbedachte Rattenschwänze.

3. Aspekt: Der Ruf des Berufs

Vorhin kurz angeschnitten, hier nochmal deutlich angeprangert: Handwerker können wahnsinnig stur und stolz sein. Wenn ich mit meinem Chef über die Meisterpflicht im Rollladenberuf diskutiere, fällt ein Argument fast immer: Die vielen Einzelunternehmer mit Gesellenbrief beschmutzen den Ruf des Berufs. Viel Pfusch, falsch oder gar nicht ausgestellte Rechnungen, Verschlimmbesserungen bei Reklamationen. Das alles ist Gift für eine Berufsgruppe, das verstehe ich. Dabei könnte in meinen Augen die Lösung simpler nicht sein: Lasst uns den Gesellen anspruchsvoller aufbauen. Warum benötigt der Meisterbrief Praxisprüfungen? Wenn ein Geselle ohne Meister beim Kunden arbeitet, wird von ihm auch perfekte Arbeit verlangt. Lasst den Meister doch lieber mehr Ahnung von BWL haben. Mit dieser Struktur gefährdet ein Geselle keinerlei Leben, sondern nur sein Privatvermögen. Und für die Finanzen des Einzelnen muss keine Handwerkskammer aufkommen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Weniger Meisterpflicht, aber dafür da, wo sie notwendig ist. Alles Weitere kann mit einem guten Gesellenbrief der Markt regeln.


Pascal Teuke ist Schatzmeister der JuLis Stuttgart.