[Juliette 2/2020] Der zündende Funken der Angst

Angst kann Verbesserungen motivieren, doch dazu müssen wir bewusst mit ihr umgehen. Begreifen wir Angst als ersten Impuls für den Antrieb, aber nicht als handlungsleitend, ist das gut. Handeln wir aber nicht rational, sondern von der Angst gesteuert, können die Ergebnisse desaströs sein. Angst kann antreiben, sie kann uns aber auch Scheuklappen aufsetzen, so dass wir nur noch ein Thema, eine Position sehen — und keine anderen Argumente oder Deutungen an uns heranlassen. Dann wird Angst zu Radikalität, und die hat außer Fackeln und Mistgabeln so ziemlich gar nichts hervorgebracht. Sie gilt es zu verhindern: in der Debatte um den richtigen Umgang mit Corona genauso wie beim Klimawandel.

Sars-CoV-2 hat uns kaum Zeit zum Überlegen gegeben und nicht nur in Norditalien, Spanien oder New York für eine verstörende, beängstigende Lage gesorgt. Die anfängliche Panik, die daraus resultierte, war getrieben von der Angst um die eigene Gesundheit, um die der Eltern und Großeltern, vor dem Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems. Die Corona Krise macht Angst – eine Emotion, über die auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel gesprochen, geschrieben und gestritten wird. In beiden Fällen ist sie aber nur dann zielführend, wenn wir sie als Anfangsimpuls nutzen, als zündenden Funken für rationale Entscheidungen. Denn Angst kann auch zum Ausschluss der Ratio führen und damit ein erhebliches Problem mit sich bringen. Ohne Vernunft wären jedoch die kulturellen und technischen Errungenschaften des „weisen Menschen“ Homo Sapiens, sowie unser hohes Maß an Gesundheit und Freiheit schlicht undenkbar. Betritt Angst oder gar Panik die Bühne, wird die Vernunft üblicherweise des Saals verwiesen.

Was können wir also aus der Angst vor Covid-19 für den Umgang mit dem Klimawandel lernen? Nicht viel, denn zwischen beiden Bedrohungslagen gibt es grundsätzliche Unterschiede: Die Geschwindigkeit, mit der sie zunehmen, aber auch die Tatsache, dass Sars-Cov-2 uns von innen, die Folgen der Erderwärmung hingegen von außen angreifen. Auch Ursachen und Lösungen sind grundverschieden: Industrialisierung und das schnelle Wachstum, das billige fossile Energie ermöglicht, führen zum Klimawandel, den wir jetzt durch technologischen Fortschritt aufhalten müssen. Die Mutation des Coronavirus hingegen entzieht sich dem menschlichen Einfluss. Natürlich gibt es auch Gemeinsamkeiten: In der Coronapandemie und beim Klimawandel muss ebenso beherzt wie bedacht gehandelt werden. Beide Probleme sind global und können nur global gelöst werden. Beide Herausforderungen treffen die Schwächeren härter als die Stärkeren – Individuen, Gesundheitssysteme, Staaten. Beide Bedrohungen sind nur durch in ihren Folgen sichtbar. Und beide Probleme können wir nur mit großem Aufwand lösen, nicht durch Verzicht. Denn das künstliche Corona-Koma hemmt zwar die Ausbreitung des Virus, aber auch alles andere.

Diese Strategie ist im Kampf gegen den Klimawandel keine Option; der Preis dafür wäre astronomisch. Doch während die Coronapandemie menschliches Leben akut bedroht und kostet, was uns zu sofortigen Maßnahmen wie dem Lockdown zwingt, verhält es sich mit den Folgen des Klimawandels ganz anders: Hier sind panische Sofortmaßnahmen, etwa wegen verfehlter nationaler Zwischenziele, schlicht sinnlos. Eine internationale und strategisch durchdachte Zusammenarbeit ist nötig, um den Klimawandel so weit wie möglich zu verhindern – oder uns daran anzupassen.

Damit die Angst in der Krise also nicht zur Bremse wird, müssen wir sie überwinden. Wir müssen die Vernunft wieder in den Saal bitten, müssen Ursachen und Ausmaß der Krise im Lichte dieser Vernunft betrachten und mit ihrer Kraft Lösungen entwickeln – so machen wir dem Namen unserer Spezies alle Ehre. Lasst uns also auch mit Blick auf Klimafragen den zündenden Funken der Angst nutzen, um den Motor des Fortschritts anzuwerfen. Vollgetankt mit der explosiven Mischung aus Zuversicht und Innovation können wir guter Dinge in eine großartige Zukunft aufbrechen, die die lange Reise wert ist.


Dr. Lukas Köhler ist klimapolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und Generalsekretär der Freien Demokraten in Bayern.