[Juliette 2/2020] Reden wir über Populismus

Angst. Angst vor Veränderung, vor dem Verlust des eigenen Status, Angst vor dem Unbekannten. Angst ist viel zu oft der dominanteste Treiber der politischen Entwicklung in unserem Land. Auf der einen Seite lassen sich viele Bürger immer noch vor allem von Angst in ihrer politischen Entscheidungsfindung bestimmen, suchen Parteien, die einfache Lösungen für ihre teilweisen irrationalen Ängste anbieten. Auf der anderen Seite lassen sich die politischen Verantwortlichen aus Angst vor ihrer Abwahl, aus Angst irrelevant zu werden, aus Angst unpopuläre Maßnahmen ergreifen zu müssen, viel zu oft dazu hinreißen gute politische Arbeit zugunsten des Anbietens einfacher Lösungen aufzugeben. Aus dieser giftigen Mischung entsteht Populismus. Ein Phänomen, dass schon lange immer wieder auftaucht, aber was heute scheinbar deutlicher das politische Geschehen dominiert. Was zeichnet aber nun einen Populisten aus? Das grundlegende Merkmal eines Populisten ist der Anspruch alleinig die Interessen eines monolithischen Volkes zu vertreten. Anstatt die Gesellschaft als ein komplexes Gefüge individueller Interessen anzusehen, wird politische Willensbildung und Kompromissfindung zugunsten des Ausdrucks eines Volkswillens aufgegeben. Populisten nehmen für sich in Anspruch exklusiv den einfachen Mann zu vertreten, dessen projizierten Belange alles andere übertrumpfen. Als Antagonist dient eine korrupte Elite, die durch Manipulation und Betrug den “Kleinen” ausbeutet. Diese ominöse Eilte gehört nicht zu dem mystisch überhöhtem Volk, sie hat auch keinen Anspruch auf politische Repräsentation und Teilhabe am Entscheidungsprozess, da sie ja per definitionem böse und volksfremd ist. Oft wird zusätzlich eine marginalisierte Bevölkerungsgruppe als Feindbild heraufbeschworen, die “Fremden” werden als Wurzel alles Übels gebrandmarkt, denn mit einem Sündenbock lebt es sich einfacher, als mit den komplexen Antworten auf komplexe Probleme.

Aus diesen Grundspielarten erwächst die konkrete Manifestation von Populismus: Misstrauen gegenüber der freien Presse, der Wissenschaft, den staatlichen Institutionen, wie Gerichten, Polizeibehörden oder der Verwaltung. Die Gewaltenteilung wird angegriffen, politische Kompromisse und Interessensausgleiche als Verrat am ominösen Volkswillen gewertet. Der gezielte Tabubruch politischer Normen und Gepflogenheiten ist das populistische Mittel der Wahl um den Bürgern zu suggerieren nur die Populisten würden die Interessen der Bürger gegen die korrupten Eliten verteidigen.

Dieses Spiel mit der Angst, mit einfachen Antworten, ist gefährlich, weil es an den Grundfesten demokratischer Ordnungen nagt. Doch die Versuchung sich dem Populismus als politisches Mittel zu bedienen ist groß. Wo das Vermitteln der Facetten des politischen Prozesses schwierig ist, ist das greifen zu populistischen Methoden einfach. Und leider erliegt unsere Mutterpartei die FDP zunehmend der Versuchung sich dieses Mittels zu bedienen. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen wurde die zukunftsgewandte lösungsorientierte Grundhaltung, mit der wir in die Bundestagswahl 2017 gegangen waren, langsam aber sicher zugunsten eines populistisch angehauchten Protestkurses aufgegeben. Aus Angst irrelevant zu werden, zwischen den erstarkenden Grünen und der zunehmend erfolgreichen AfD zerrieben zu werden, griff vor allem Christian Lindner zu immer schrilleren Tönen.

Es begann mit einer Entsachlichung der Migrationsdebatte. Anstatt die rechtstaatlichen Lösungen unserer Beschlusslage hervozustellen, ersetzte latent fremdenfeindliche Rhetorik die sachliche Diskussion. Die berüchtigte Aussage, jeder Deutsche müsse sich sicher seien können, dass der ausländisch aussehende Mensch in der Bäckerschlange auch legal in Deutschland sei, ist uns allen noch in allzu guter Erinnerung. Natürlich ist dies noch meilenweit von der populistischen Hetze der AfD entfernt, und natürlich sind auch andere demokratische Parteien zuweilen populistischen. Dennoch war es der Beginn einer rückwärtsgewandten Entwicklung, weg von dem Leitbild was uns zurück in den Bundestag brachte.

Seitdem der öffentliche Diskurs durch das Megathema Klima bestimmt ist, hat sich diese Entwicklung nur verstärkt. Anstatt offensiv für unser Lösungskonzept, den Emissionshandel, zu werben, wurde das Feindbild einer abgehobenen grünen Großstadtelite projiziert, die dem einfachen Mann sein täglich Brot wegnehmen will. Anstatt nach einem Interessenausgleich zu suchen, wurde ein künstlicher Antagonismus zwischen einer hart arbeitenden Bevölkerung, meist im ländlichen Raum, und einer weltfremden urbanen Oberschicht hergestellt. Wenn Uli Rülke beim letzten Parteitag davon schwadroniert, dass man die alleinerziehende Verkäuferin von den grün-wählenden Stadtbewohnern schützen müsse, hat das nicht mehr viel mit konstruktivem politischem Diskurs zu tun, aber dafür viel mit Populismus. Ebenso ist die Tonlage um die Bauernproteste der letzten Monate einzuordnen. Wieder wurden die redlichen Bauern als Erzeuger unserer Lebensmittel überhöht im Kontrast zu weltfremden Grünen oder Bundesministern die nie einen Stall von innen gesehen hätten gesetzt. Hier geh es nicht um die angebrachte Kritik an der Ausgestaltung von Agrargesetzgebung, die durchaus ihre Berechtigung hat. Es geht darum, mit einer künstlich hergestellten schwarz-weiß Unterscheidung zwischen dem einfachen redlichen Bauern und weltfremden Eliten populistische Stereotypen zu bedienen.

In der Corona-Krise sehen wir den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung: Christian Lindner behauptet es gäbe Maulkörbe in der Diskussion um die Öffnung des Shutdowns, eine Aussage die nicht nur jeglicher sachlichen Grundlage entbehrt (Von anderen Akteuren Kritik für einen Vorschlag zu bekommen und von Entscheidungsträger missbilligt zu werden, heißt nicht, dass man an der Äußerung gehindert wurde), sondern bedient auch auf gefährlich Weise das Narrativ von einer elitengesteuerten Meinungsdiktatur. Bald folgte darauf die Anzweiflung wissenschaftlicher Institutionen, Wolfgang Kubicki sinniert über angeblich gefälschte Coronazahlen, Uli Rülke redet davon, dass die vom RKI veröffentlichen Ergebnisse gezielte Volksverdummung seien. Langsam schleicht sich hier die beliebte populistische Spielart Misstrauen gegenüber den Medien und anderen Institutionen der Gesellschaft zu schüren ein.

Natürlich will ich nicht behaupten die FDP sei jetzt eine populistische Partei wie die AfD oder Linkspartei. Die FDP hat immer noch eine hervorragende Beschlusslage, die für komplexe Probleme differenzierte Lösungen findet. In vielen Politikbereichen ist die FDP immer noch eine Partei die sich populistischen Tendenzen anderer Parteien in den Weg stellt, etwa in der Außen-, Forschungs- oder Innenpolitik. Aber wir sehen dennoch eine langsame aber sichere Entfremdung von unserem Leitbild in Kombination mit einer immer populistischeren Rhetorik, vor allem in der Parteispitze. Noch ist es nicht zu spät das Ruder vor der Bundes- und Landtagwahl nächste Jahr herumzureißen. Und genau hier sind wir JuLis gefragt: Unsere Aufgabe wird es sein dieser Entwicklung mit einem lösungsorientierten und sachlichen Auftritt gemäß unserem Leitbild entgegenzutreten. Wenn wir das nicht machen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die FDP nicht wieder in die Parlamente einzieht. Denn niemand braucht eine schrill schreiende populistische angehauchte rückwärtsgewandte Partei. Die Bürger die auf so etwas anspringen wählen lieber die Originale an den Rändern. Was es in Deutschland braucht, ist eine Partei, die sachorientierte Politik mit klar liberalem Kompass anbietet. Sorgen wir dafür, dass die FDP nächstes Jahr als solchen antritt.


Hieronymus Eichengrün ist Mitglied der JuLis Heidelberg und stellvertretender Vorsitzender für Programmatik der JuLis BW.