[Juliette 3/2020] Blut ist nicht schwul oder hetero!

Gleich zu Beginn der Corona-Krise schlug das Rote Kreuz Alarm: Vielerorts wurden die Blutkonserven knapp. In vielen Bundesländern reichten die Vorräte nur noch für einen Tag. Damit nahm der Mangel an Blutspenden seinen Höhepunkt – schon seit Jahren gehen die Notfallvorräte zurück. Umso unverständlicher, dass immer noch homo- und bisexuelle Männer pauschal von der Blutspende ausgeschlossen werden. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern grob fahrlässig.

Männer, die Sex mit anderen Männern hatten (MSM), sind danach zwölf Monate lang von der Blutspende ausgeschlossen. Ein Jahr Enthaltsamkeit – das ist lebensfremd und medizinisch völlig überzogen. Denn: Jede einzelne Blutspende wird getestet. Auch HIV-Infektionen sind nach einem diagnostischen Fenster von sechs Wochen bereits zuverlässig nachweisbar. Für die vorgeschriebene Enthaltsamkeit von zwölf Monaten gibt es keine wissenschaftliche Begründung.

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn behauptete lange, dass es zum pauschalen Ausschluss von Männern, die Sex mit Männern haben, keine sichereren Alternativen gibt. Das Gegenteil ist richtig: Alle Spender/innen müssen vor der Blutspende zu ihrem individuellen Risikoverhalten befragt werden – unabhängig von ihrer sexuellen Identität. Wer als schwuler Mann in einer monogamen Beziehung lebt, Kondome nutzt und sich regelmäßig testen lässt, hat ein geringeres Infektionsrisiko als sein heterosexueller Nachbar, der noch letzte Nacht bei einem One-Night-Stand anonym und ungeschützt mit einer Frau geschlafen hat, weil sie ja die Pille nimmt. Dem Ersten eine Blutspende zu verbieten und im zweiten Fall eine Infektion zu riskieren ist nicht nur scheinheilig, sondern doppelt fahrlässig.

Auch transsexuelle Menschen werden noch immer als separate Risikogruppe in den Richtlinien aufgeführt. Die unfassbare offizielle Begründung von 2012 lautet:

„Da sich viele Transsexuelle, die eine vollständige Geschlechtsumwandlung anstreben, beruflich ausgegrenzt und gesellschaftlich diskriminiert fühlen, arbeiten viele als Prostituierte, um auf diese Weise nicht nur den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch die Operationskosten zu erwirtschaften.“

Als Quelle verweist die Bundesärztekammer allen Ernstes auf 300 Inserate einer Erotik-Website. Wer so unseriös argumentiert, hat nicht ernsthaft die Gesundheit der Blutspendeempfänger/innen im Sinn, sondern wird zum Opfer seiner diskriminierenden Vorurteile. Es braucht eine Regelung für alle Menschen mit sexuellem Risikoverhalten – egal ob hetero, trans*, cis, lesbisch, schwul oder einfach nur queer.

Mit einem Antrag im Deutschen Bundestag haben wir Freie Demokraten etwas Bewegung in die Debatte gebracht. Inzwischen hat auch Jens Spahn erkannt, dass das Blutspendeverbot nicht auf einer wissenschaftlichen Notwendigkeit, sondern auf einem diskriminierenden Pauschalurteil beruht. Der „Arbeitskreis Blut“ diskutiert nun, ob die Rückstellfrist von der Blutspende zumindest von zwölf auf vier Monate reduziert werden kann. Das wäre natürlich besser als die bisherige Richtlinie, aber die Diskriminierung bleibt.

Andere Länder haben das Blutspendeverbot längst gelockert oder ganz aufgehoben – vor wenigen Monaten erst die USA, Ungarn und Brasilien. Aus Italien, Kanada und Großbritannien liegen bereits Studien vor, die die Auswirkungen der Aufhebung des Blutspendeverbots untersucht haben. Das wenig überraschende Ergebnis: Die Lockerung der Blutspendeverbote hat nicht zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos geführt.

Blut ist nicht schwul oder hetero. Kein Patient soll sterben müssen, weil der mögliche Blutspender der deutschen Richtlinie zu schwul war. Nicht die sexuelle Identität, sondern das individuelle Risikoverhalten ist entscheidend. Das pauschale Blutspendeverbot für homo- und bisexuelle Männer muss endlich abgeschafft werden.


Jens Brandenburg MdB ist JuLi-Mitglied und in der FDP-Bundestagsfraktion unter anderem Sprecher für das Thema LSBTI.