[Juliette 3/2020] Diskriminierung ist für LGBTIQ immer noch Alltag

„Welche Diskriminierung? Es ist doch alles erreicht.“, „Habt ihr keine anderen Sorgen?“, „Warum gibt es eigentlich keinen CSD für Heteros?“ – all das sind Originalkommentare unter Social-Media-Postings zu LGBTIQ-Themen. Ich selbst biete den Kommentatoren, meist sind sie männlich, dann immer gerne an, mit mir in einer Innenstadt ihrer Wahl für eine Stunde Händchen zu halten. Leider hat noch nie jemand zugesagt und sich auf das Experiment eingelassen. Für Menschen, die tatsächlich zu einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit zählen, ist es kein Experiment, sondern Alltag, ob sie in der Öffentlichkeit zeigen, wer sie sind.

In einer aktuellen Studie gaben 45% der Befragten in Deutschland mit gleichgeschlechtliche*r Partner*in an, öffentlich nicht Hand in Hand gehen zu wollen. 36% der Befragten seien in den letzten 12 Monaten belästigt worden, 13% sogar schon einmal körperlich angegriffen worden. Fast 40% der Deutschen lehnen schwule Küsse in der Öffentlichkeit ab, 18% halten Homosexualität für unnatürlich. Zwar ist es einerseits zutreffend, dass homophobe Einstellungen in der Bevölkerung insgesamt eher abnehmen, gleichzeitig scheinen jedoch insbesondere Gewalttaten gegen LGBTIQ eher zuzunehmen und noch immer gehören Diskriminierungserfahrungen zum Alltag. Besonders alarmierend sollte außerdem sein, dass das Suizid-Risiko bei LGBTIQ-Jugendlichen um ein dreifaches höher ist als bei gleichaltrigen Heterosexuellen. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Was also kann getan werden?

Noch immer findet Aufklärung an Schulen viel zu wenig statt, das Wort „schwul“ kommt als Schimpfwort auf den Schulhöfen, aber kaum im Unterricht vor. Es müssen daher erstens Bildungspläne und die Aus- und Fortbildung von Lehrer*innen endlich konkretisiert werden. Zudem sind ehrenamtliche Initiativen, die wichtige Arbeit auch an Schulen leisten, zu stärken. Leider hat die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hier massiv gespart. Zweitens braucht es mehr digitale Beratungsangebote vor allem für junge LGBTIQ-Menschen, denn insbesondere in ländlichen Regionen haben sie mehr mit Vorurteilen zu kämpfen und gleichzeitig gibt es dort kaum Hilfsangebote. Drittens gibt es bei vielen LGBTIQ-feindlichen Straftaten immer noch eine sehr hohe Dunkelziffer, da sich viele nicht trauen Anzeige zu erstatten. Die Polizei muss deshalb stärker sensibilisiert werden. Solche Straftaten müssen außerdem als eigene Kategorie in der Kriminalstatistik aufgelistet werden, um Klarheit über das tatsächliche Ausmaß zu haben.

Viertens müssen auch die tatsächlich immer noch bestehenden rechtlichen Diskriminierungen wie das Blutspendeverbot für homo- und bisexuelle Männer abgeschafft werden. Schließlich lassen sich gesellschaftliche Vorurteile nur schwer bekämpfen, wenn genau diese Vorurteile rechtlich zementiert sind. Fünftens muss LGBTIQ-Feindlichkeit immer bekämpft werden, egal von wem sie ausgeht. Auch ich habe Diskriminierung erlebt, diese ging meistens von älteren weißen Männern aus. Der Hass auf sexuelle und geschlechtliche Minderheiten ist jedoch auch bei vielen Migrant*innen verbreitet. Hier braucht es weder falsche Toleranz, noch Monokausalität, die nur in der Herkunft die Ursache für Homo-, Bi- oder Transphobie sieht.

Nicht zuletzt liegt es aber in der Hand von uns allen, gegen Diskriminierung zu kämpfen. Egal, ob jemand aufgrund seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität, seiner Herkunft, seinem Glauben oder seiner Hautfarbe ausgegrenzt, gedemütigt oder angegriffen wird: Schreitet ein und seid wachsam. Guido Westerwelle hat einmal gesagt „bevor ich sterbe, wird Schwulsein eine Selbstverständlichkeit sein“. Leider war dem vor vier Jahren nicht so und dem ist auch heute nicht so. Wir alle sollten deshalb Farbe bekennen für eine bunte Gesellschaft.


Benjamin Brandstetter ist JuLi-Kreisvorsitzender und Landtagskandidat in Heidelberg. Er ist außerdem Landesvorsitzender der Liberalen Schwulen und Lesben BaWü. Mitglied werden kann man dort übrigens auch als Hetero.