[Juliette 3/2020] Die Verherrlichung der weiblichen Reize durch die moderne Meme-Gesellschaft

Brrrbrrr. Das Smartphone vibriert. Steve hat mal wieder ein lustiges Meme in die Männergruppe meines Freundes geschickt. Er lacht aus tiefster Seele und dreht das Handy zu mir um. Es ist wieder einmal eines dieser lustig gemeinten Bildchen, die eine nackte Frau mit irgendeinem lustigen Text zeigt. Ich schaue ihn an und frage: „Meinst du die Frau auf dem Bild findet das auch lustig?“

75 % der erwachsenen Frauen wurden schon einmal sexuell belästigt. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Befeuert durch die Anonymität im Internet, durch unser Verlangen nach Freiheit und Modernität verschiebt sich die Grenze des Erlaubten immer weiter. Glaubt ihr etwa im 19. Jahrhundert wären Fotos von nackten Frauen gesellschaftsfähig oder gar lustig gewesen? Doch eine freie Gesellschaft sollte sich niemals daran messen lassen, wie gesellschaftsfähig nackte Frauen sind. Eingepackt in Humor verschleiern die Memes aber das eigentliche Problem. Verherrlicht man die Reize einer Frau, verlieren sie ihren Schutzwert. Vom nackten Meme über einen „geilen Arsch“ bis hin zum Angrapschen in der Disco fehlt nicht mehr viel.

Nach kurzer Recherche finden sich allerlei lustige Bildchen im Chatverlauf. Ich habe es dann mal mit Aufklärung versucht. Aber jegliche Argumente wurden mit „Naja, sie hat das Foto doch freiwillig gemacht“ oder „Ach komm schon, das ist doch nur ein Bild. Ich würde niemals eine Fremde angrapschen“ abgeschmettert.

In einer Gesellschaft, in der man Upskirting ausdrücklich verbieten muss, macht mir der Umgang mit den sexuellen Reizen einer Frau nicht gerade Mut. Wir können noch so viel Gleichgerechtigkeit und Genderneutralität fördern, wenn parallel die Reize der Frau vergesellschaften werden. Ein Parteivorsitzender, der einem Bundesparteitag ein gewisses Bild in den Kopf setzt, ist zusätzlich nicht förderlich. Doch viele sehen das Problem nicht, oder wollen es einfach nicht sehen.

„Empfindest du solche Bilder wirklich als Problem“ fragt mich mein Freund. „Ich dachte einfach nicht, dass so ein paar Bilder einen solchen Einfluss hätten“. Haben sie aber. Der Grad zwischen erotisch, billig und lustig ist sehr schmal. Wie sollten wir als Gesellschaft also mit den „nackten“ Tatsachen umgeben? Wer den hiesigen Sportevents folgt, erinnert sich vielleicht noch an den Superbowl 2004 zurück. Justin Timberlake riss aus Versehen in der Halbzeitshow Janet Jackson zu viel Klamotten ab und entblößte ihre nackte Brust. Danach nur noch als „Nippelgate“ bekannt, hatte diese Show allerdings folgen. Seither wird der Superbowl um wenige Sekunden verzögert gesendet, um zukünftige Entblößungen zu vermeiden. Schließlich schauen auch Kinder zu und in Amerika ist es verpönt in öffentlichen Shows solche Anzüglichkeiten auszustrahlen.

Auch wenn ich diesen Vorfall als Unfall abstempeln kann, so finde ich das Signal doch richtig. Nackte Tatsachen sind höchst privat und sollten nicht gesellschaftsfähig verbreitet werden. Wenn etwas allerdings lustig ist, dann ist es sehr wohl gesellschaftsfähig verbreitbar. Dadurch scheinen solche Bilder auf den ersten Blick vielleicht harmlos. Nicht verharmlosen dürfen wir allerdings, dass die Online- und Offline-Welt immer mehr verschmelzen und quasi eins werden. Die Grenze, was wir online machen und offline lassen sollten, vergessen wir allerdings immer öfter. In unseren Köpfen setzt sich fest, es sei in Ordnung, eine nackte Frau anzusehen und das auch noch (mit entsprechenden Sprüchen) lustig zu finden. Ich persönlich glaube, dass dieser Vorgang dazu beitragen kann, dass es für manche auch offline O.K. ist die Nacktheit einer Frau nicht mehr als ihre Privatsache anzusehen.

Wir, als Vertreter*innen der freiheitlichen Gesellschaft müssen das Problem aufdecken, erklären und aufklären. Dann bekommen wir vielleicht ein wenig von unseren eigenen Reizen zurück.


Eileen Lerche ist Kreisvorsitzende der JuLis Schwarzwald-Baar und stellvertretende Leiterin des Landesarbeitskreises Innerverbandliches.