[Juliette 2/2021] Kinder – Hindernisse für politische Ambitionen?

Autorin: Judith Skudelny MdB ist Generalsekretärin der FDP in Baden-Württemberg.

Es war der 27. Oktober 2009. Und es war die konstituierende Sitzung des 17. Deutschen Bundestages. Als frisch gewähltes Mitglied war ich ganz gespannt, was mich im Plenarsaal erwartet. Womit ich nicht im Entferntesten gerechnet habe: Die Saaldiener wiesen mich zurück. Der für mich völlig unverständliche Grund: Ich hatte meine vier Monate alte Tochter dabei, die – wie Ihr Euch denken könnt – kein gewähltes Mitglied des Hauses war. Nur die aber durften nach geltenden Regeln in den Saal. Die Situation löste sich allerdings schnell, als Guido Westerwelle mich zu sich gewunken hat. Ein Novum in der Deutschen Bundestagsgeschichte. Es war keine politische Aussage, mein Kind mit ins Plenum zu nehmen. Ich habe es als Mutter getan und würde es immer wieder tun.

Seither sind mehr als elf Jahre vergangen. Als mich die Schwäbische Zeitung kurz vor der Verkündung der Kanzlerkandidatur von Annalena Baerbock zu der Frage „Kinder und Politik – geht das zusammen“ interviewte, flammten die frustrieren- den und unverständlichen Ereignisse von damals in mir wieder auf. Damals sagte ich, wir dürfen die Politik nicht denen überlassen, die übrig bleiben, wenn Eltern sich nicht einbringen können. Nach fast zwei Legislaturperioden ist dieser Satz immer noch höchst aktuell und ich stehe zu 100 Prozent dahinter. Mutter zweier Kinder zu sein, ist für mich das größte persönliche Glück. Es kann nicht gegen mein politisches Wirken abgewogen werden. Ebenso wenig ist es der Garant für meinen politischen Erfolg. Es steht eben ganz allein für sich!

Warum in der gesellschaftlichen Debatte das „Mutter sein“ immer noch als Stolperstein für politische Ämter wahrgenommen wird, ist für mich überraschend und zugleich bedrückend. Persönlich bedeutet es sicherlich einen größeren organisatorischen Aufwand, als Elternteil alles unter einen Hut zu bekommen. Jedoch ist das Feedback, das ich bekomme, wenn ich meinen Sohn beim Kicken zuschauen kann oder bei einem Reitturnier meiner Tochter bin, jeden Aufwand wert. Die Abstimmungen, die dafür zu treffen sind, trifft die Familie. Außerhalb dessen, was Eltern persönlich an Engagement zu tragen bereit sind, muss die Politik gesetzgeberisch das veraltete Rollen-bild endlich ins 21. Jahrhundert bewegen. In der Pandemie haben wir erlebt, dass sie tradierte Rollenmodelle noch verstärkt hat.

In vielen Familien war es ganz selbstverständlich Aufgabe der Mütter, allen Ecken des magischen Dreiecks aus Homeschooling, Homeoffice und Haushalt dauerhaft gerecht zu werden. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung herausgefunden, dass Frauen im Vergleich zu vergangenen Wirtschaftskrisen diesmal stärker betroffen waren, weil sie eben immer noch den Großteil der Betreuung leisten. Wenn die Kinder ganztags zu Hause sind und Lehrkräfte oder pädagogische Fachkräfte ersetzt werden müssen, sind es die Mütter, die beruflich zurückstecken, in Teilzeit zurückgehen oder bestehende Teilzeit noch weiter reduzieren. Diese unfaire Rollenverteilung ist nicht durch die Krise entstanden, aber verdeutlicht und verstärkt worden.

Und wir müssen uns fragen, ob die Betroffenen sich das wirklich freiwillig ausgesucht haben. Gleichberechtigung bedeutet, Stereotypen und Geschlechterklischees abzubauen – sowohl im Job als auch in der Familie. In einer modernen Gesellschaft darf nicht das Geschlecht darüber entscheiden, wie einen die Krise trifft. Es braucht eine echte Wahlfreiheit für alle Frauen und alle Männer, damit die Verantwortung zwischen Familie und Beruf eigenständig aufgeteilt werden kann. Die Potenziale unserer Gesellschaft entfesseln wir erst durch das Miteinander.

In unserem Bundestagswahlprogramm haben wir dazu eine Fülle an Forderungen aufgestellt:

im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie die Flexibilisierung von Arbeitszeit, das Homeoffice nach niederländischem Vorbild, steuerliche Förderung von Betriebskindergärten, ein garantierter Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung spätestens mit Ende des Mutterschutzes, flexible Betreuungszeiten und eine zeitlich begrenzte Auszeit für Vorstände und Führungskräfte in Fällen von Geburt oder Elternzeit, ohne dass sie ihr Mandat niederlegen müssen.

Wir als Familie, besonders durch die Unterstützung meines Mannes und meiner Mutter, haben den Schritt für die Familie 2009 gemeinsam geplant und beschritten. Mir ist bewusst, dass dieses Glück nicht jedem zuteil wird. Damit berufliches Vorankommen und familiäre Fürsorge nicht von diesem Faktor bedingt wird, benötigen wir ein gesetzliches Update, welches politisch gestaltet werden muss. Das haben die Freien Demokraten mit dem Bundestagswahlprogramm getan. Nun geht es darum, die Menschen von unserer Botschaft zu überzeugen: Vorankommen durch eigene Leistung und das selbstbestimmt in jeder Lebenslage.