[Juliette 2/2021] Kindergeld

Autor: Pascal Kober MdB ist sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Nur 47 % der Deutschen sind der Ansicht, Deutschland sei ein kinder- freundliches Land, wie die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen heraus-gefunden hat. Zu dieser negativen Bewertung führt nicht die Frage, ob Kinder die geradezu sprichwörtliche Wurstscheibe beim Metzger erhalten, oder sich der Nachbar häufig wegen Kinderlärm beschwert, sondern ganz konkrete politische Rahmenbedingungen.

Die erste Frage die sich mancher stellt: „Kann ich mir Kinder überhaupt leisten?“ – denn rund 130.000 Euro kostet ein Kind bis zu seinem 18. Geburtstag. Wir wissen, die Armutsrisikoquote von Haushalten mit Kindern ist in den meisten Konstellationen überdurchschnittlich hoch. Der Staat versucht deshalb mit geldwerten Leistungen zu helfen. Neben Kindergeld oder dem Kinderfreibetrag bei der Steuer, gibt es den Kinderzuschlag oder kindbedingte Elemente beim Wohngeld oder beim Sozialgeld sowie die Bildungs- und Teilhabeleistungen.

Das Kindergeld, obwohl davon alle Eltern profitieren, nicht nur Bedürftige, ist dabei sogar die familienbezogene Transferleistung, die am umfassendsten bei der Bekämpfung von Armut hilft. Bei Familien mit zwei und mehr Kindern vermeidet es bei 90 % der Kinder Armut.

Die Fülle unterschiedlichen Auszahlungsvoraussetzungen macht es für die Familien jedoch kompliziert. Besser wäre ein Kinderchancengeld aus einem Guss, das einen größeren Fokus auf Chancen, Bildung und Teilhabe setzt.

Leider reichen die bestehenden Sozialleistungen, trotz ihrer Höhe (nur in Luxemburg gibt es z.B. ein höheres Kindergeld als in Deutschland), im Ergebnis jedenfalls bei der Armutsbekämpfung im internationalen Vergleich nur zu einem Platz im Mittelfeld, hinter den nordischen Staaten, aber auch Großbritannien und Spanien. In Deutschland sind es etwa 9 %, die wesentliches entbehren: Die eine warme Mahlzeit am Tag, der ruhige Platz für Hausaufgaben oder mindestens ein altersgerechtes Spielzeug. In Schweden sind es nur 1,3 % der Kinder, die solche Entbehrungen erleben, in Dänemark nur 2,6 und in den Niederlanden 2,7 %.

Am häufigsten mangelt es Kindern hierzulande an regelmäßigen Freizeitaktivitäten (6,7 %) – z. B. im Sportvereinen, Jugendorganisationen oder das Erlernen eines Musikinstruments. Kinder leben eben von mehr als Geld, sie brauchen Erziehung, Anregung, sozialen Austausch.

Nicht zwingend an der Höhe, sondern wohl vor allem auch an der Zielgerichtetheit der Sozialleistungen muss daher in Deutschland gearbeitet werden. Daher sollten wir die sogenannten Bildungs- und Teilhabeleistungen deutlich erhöhen. Denn sie ermöglichen Kindern faire Chancen genau dort, wo laut Unicef in Deutschland die größten Probleme bestehen: bei der sportlichen, musischen und kulturellen Teilhabe. Die Leistungen müssen zudem endlich einfacher und digital über eine Kinderchancenkarte abgerufen werden können.

Zielgerichtetere Maßnahmen braucht es auch bei der Schaffung von Bildungsgerechtigkeit. Die kommunalen Netz- werke der Frühen Hilfen sind zu stärken, die benachteiligte Familien mit Kindern im Alter von 0-3 Jahren fördern. Statt der Kita-Beitragsfreiheit für alle, die hauptsächlich gutverdienende Familien entlastet, sollten Investitionen beispielsweise zur Sicherstellung eines guten Fachkraft- Kind-Schlüssels genutzt werden. Kinderbetreuung sollte perspektivisch ab dem Ende des Mutterschutzes garantiert werden und die Betreuungszeiten sind zu flexibilisieren, damit auch Schichtdienste möglich werden.

Statt alle Schulen gleich zu fördern, sollten Schulen in Regionen mit großen sozialen Herausforderungen finanziell besser ausgestattet werden. Das gelingt am besten mit einem „German Dream“- Zuschuss an Schulen für jedes Kind mit niedrigem sozioökonomischem Status. NRW zeigt mit seinen Talentschulen, wie Bildungsgerechtigkeit in benachteiligten Vierteln hergestellt werden kann. Schülern aus prekären Milieus sollten besondere Angebote für den Erwerb digitaler Kompetenz gemacht werden. Warum werden nicht zusätzlich Lehramtsstudierende einbezogen, wenn es darum geht, verpassten Schulstoff aufzuholen? Kinder aus armen Familien sollten Lernförderung nicht nur dann erhalten, wenn wesentlichen Lernziele andernfalls nicht erreicht würden, sondern auch, wenn sie sich beispielsweise von der 3 auf die 1 verbessern wollen.

Für den Übergang von der Schule in das Berufsleben fordern wir den flächen- deckenden Ausbau der Jugendberufsagenturen mit einer verbesserten Kooperation von Jobcenter, Schule, frühkindlicher Betreuung und Jugendhilfe.