25.03.2012

Aufsteiger statt Taschengeldempfänger – Thesen liberaler Sozialpolitik

Der Einzelne und seine Bedürfnisse sind Ausgangspunkt der liberalen Weltsicht. Der Liberalismus ist damit zu allererst ein Gesellschaftsentwurf. Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verbinden jedoch mit dem parteipolitischen Liberalismus in der Bundesrepublik zunächst Forderungen nach wirtschaftlichen Freiheiten. Eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung ist für Liberale aber lediglich Vehikel der Gesellschaftspolitik und nicht Selbstzweck. Ein menschenwürdiger Lebensstandard kann nicht ausschließlich mit (markt)wirtschaftlichen Mitteln gesichert werden. Um einen möglichst breiten gesellschaftlichen Wohlstand herzustellen, bedarf es sozialpolitischer Maßnahmen. Wir fordern innerhalb der FDP eine stärkere Fokussierung auf dieses für die Lebenschancen der Bürger wichtige Thema.

Liberale Sozialpolitik kennzeichnet sich für die Jungen Liberalen Baden-Württemberg durch folgende Merkmale:


Liberale Sozialpolitik ist aktivierend und respektvoll

Die sozialen Sicherungssysteme sichern mehr ab als wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Not. Sie sollen Menschen Chancen eröffnen und ihnen helfen, auf ihrem eigenen Weg das Ziel zu erreichen. Wir geben uns nicht zufrieden mit Sozialpolitik als bloßer Existenzsicherung oder Geldzuteilung. Dem bloß reaktiven, sichernden Sozialstaat setzen wir einen aktiven, unterstützenden Sozialstaat entgegen, der Wege und Chancen in ein selbstbestimmtes Leben eröffnen will. Jede Abhängigkeit von gesellschaftlichen Transfersystemen bedeutet Unfreiheit, die es zu überwinden gilt.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Wir wollen keine vom Staat abhängigen Taschengeldempfänger, sondern mündige Bürger, die staatliche Chancen zum persönlichen Aufstieg nutzen können. Darum sind Unterstützungsmaßnahmen grundsätzlich so anzulegen, dass sie eine klare Zielsetzung verfolgen und auslaufen, wenn diese erreicht sind. „Projektschleifen“, gerade in der Arbeitslosenhilfe, gilt es zu verhindern.
  • Die Würde und Privatsphäre von Hilfeempfängern ist zu gewährleisten, wie die jedes anderen Bürgers auch. Wir sprechen uns deshalb gegen herabwürdigende Bedarfsprüfungen und Dokumentationen aus. Praktiken, wie die „Zahnbürstenkontrolle“, die bei Leistungsempfängern nach dem SGB II das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft überprüfen soll, lehnen wir ab. Wir wehren uns gegen gesellschaftliche Ressentiments gegenüber Hilfeempfängern.
  • In Zukunft soll vor der Auszahlung von Sozialleistungen keine Vermögensprüfung mehr stattfinden. Die Schonvermögensregelung ist daher abzuschaffen.
  • Sämtliche Sozialleistungen müssen hinsichtlich ihrer bürokratischen Hürden überprüft werden. So mangelt es gerade beim Bildungspaket an Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen und an der nötigen individuellen Ausgestaltung für die Kinder. Es sind nicht nur die Anträge für die Bildungsgutscheine zu kompliziert, sondern auch am Konzept finden sich noch zahlreiche Mängel, die beseitigt werden müssen, damit das Bildungspaket erfolgreicher angenommen wird. Schulen müssen bei den Gutscheinen für Nachhilfe verstärkt mit eingebunden werden, sowie bei Musikunterrichtsgutscheinen geklärt werden, ob beispielsweise die Finanzierung eines Instruments im Gutschein enthalten ist. Diese und viele weitere konzeptionelle Nachlässigkeiten sind von der Bundesregierung schnellstmöglich zu verbessern. Ferner müssen die Kommunen besser kooperieren und ihre Leistungen im Rahmen des Bildungspakets entsprechend aufeinander abstimmen.

Liberale Sozialpolitik eröffnet Chancen durch Bildung

Bildung ist die Grundlage eines selbstbestimmten, unabhängigen Lebens. Sie „bildet“ Persönlichkeit und Individualität und ist Grundpfeiler für einen jeden Menschen, seine Position in der Gesellschaft zu finden. Aktivierende Sozialpolitik setzt deshalb darauf, die Fähigkeiten und Talente jedes einzelnen Menschen zu entwickeln und bestmöglich zu fördern. Sozialpolitik als Bildungspolitik zieht sich durch alle Phasen des Lebens der Bürger. Neue Zugänge zur Bildung müssen geschaffen, vorhandene müssen weiter geöffnet werden.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Damit frühkindliche Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, fordern wir landesweit den beitragsfreien Kindergarten für Kinder ab drei Jahren. Eine Herdprämie (Betreuungsgeld), die Eltern finanzielle Anreize gibt, ihre Kinder nicht in Kindertagesstätten anzumelden, lehnen wir ab.
  • Das Instrument der Sprachstandserhebungen muss weiterentwickelt und an handfeste Konsequenzen geknüpft werden. Kinder, die bei einer Sprachstandserhebung grundlegende Anforderungen nicht erreichen, sollen zu einem vorschulischen Kindergartenjahr verpflichtet werden.
  • Wir befürworten die Nachlagerung von Studiengebühren sowie den Ausbau des Stipendienprogramms, um sowohl sozial schwächeren Schülern ein Studium zu ermöglichen wie auch die Finanzierung der Hochschulen auf einem guten Niveau halten zu können.

Liberale Sozialpolitik setzt auf gesellschaftliches Engagement

Das Ehrenamt ist einer der größten Schätze unserer Gesellschaft. Millionen von Freiwilligen bringen sich mit Herzblut in Politik, Sport, Kultur, Brauchtumspflege, Religionsgemeinschaften, Nachbarschaftshilfen, soziale Einrichtungen und anderen Formen für die Gesellschaft ein. Unterstützung durch Freiwillige und Ehrenamtliche ist für diejenigen, die sie benötigen, besonders wertvoll. Das eingebrachte Mitgefühl und persönliche Nähe sind durch den größten Aufwand an Transferleistungen nicht zu ersetzen. Es ist in Zeiten des demographischen Wandels und knapper öffentlicher Finanzen unerlässlich.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Ehrenamtliches Engagement soll steuerlich nicht belastet, sondern im Rahmen des Möglichen entlastet werden. Wir fordern die Erhöhung der Übungsleiter- sowie Ehrenamtspauschale. Auch muss das Gemeinnützigkeits­recht weiter reformiert werden.
  • Risiken für den Versicherungsschutz müssen konsequent beseitigt und die Haftung Ehrenamtlicher im Vereinsrecht beschränkt werden.
  • Die Zertifizierung von im Ehrenamt erworbenen Fähigkeiten muss vorangetrieben werden. Wir fordern die Einrichtung einer hierfür zuständigen Stelle.
  • Bürokratische Hürden, die dem Ehrenamt entgegenstehen, sind abzubauen. Gemeinnützige Vereine sind von unnötigem, bürokratischen Ballast zu befreien.
  • Eine nachfrageorientierte Ausgestaltung und Ausweitung des Bundes­frei­willigen­dienstes sowie die Integration anderer Freiwilligendienste wie FSJ und FÖJ in den Bundesfreiwilligendienst muss angegangen werden.

Liberale Sozialpolitik ist solidarisch und verantwortungsbewusst

Freiheit heißt für uns Jungliberale nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für den Nächsten zu übernehmen. Liberale unterstützen deshalb den Weg in die Selbstbestimmtheit anderer. Die Notwendigkeit sozialer Sicherungssysteme steht damit außer Frage. Niemand darf durch das Raster dieser Sicherungsnetze fallen. Solidarität zu zeigen, gilt allerdings nicht nur für die Helfenden. Auch diejenigen, die durch die Sozialsysteme Hilfe erfahren, müssen sich solidarisch zeigen. Sie sollen sich nach besten Kräften bemühen, ihre Notlage zu überwinden und den größten ihnen möglichen Beitrag zur ihrem eigenen Lebensunterhalt und zur Gesellschaft zu erbringen.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Ein Mindestlohn, der Menschen ohne Schulabschluss oder sonstige Qualifikation Chancen zum Einstieg in Arbeit nimmt, und Hartz IV, das zu geringe Hinzuverdienstmöglichkeiten bietet, lehnen wir ab. Stattdessen fordern wir die Einführung des Liberalen Bürgergelds. Jedem Bürger steht darin ein Geldbetrag zu, der sein Existenzminimum sichert, wenn er nicht über ausreichendes eigenes Einkommen verfügt. Die demüti­gen­de Antragsprozedur, von Amt zu Amt laufen zu müssen, entfällt. Flexible Anrechnungsregelungen zu möglichem Einkommen haben für jeden positive Anreize geschaffen, Arbeit anzunehmen. Andererseits kann durch das Bürgergeld Verwaltung effizienter organisiert werden. Die Auszahlung des Bürgergelds soll alleine beim Finanzamt liegen, welches die hierfür erforderlichen Daten in der Regel sowieso bereits erhoben hat. Soziale Hilfe muss zielgenauer werden, was durch die zentrale Verrechnung von Transfer­anspruch und Steuerpflicht erreicht werden kann.
  • Solidarisch sind wir ebenfalls mit denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die noch gar nicht geboren sind. Generationengerechtigkeit ist die Voraussetzung einer nachhaltigen Sozialpolitik. Um den Staat in die Lage zu versetzen, auch künftig ein soziales Netz zu gewährleisten, streben wir eine zügige Haushaltskonsolidierung an. Die eingeführte Schuldenbremse im Grundgesetz ist nur ein Anfang. Für Liberale muss der Schuldenabbau Vorrang vor neuen Staatsausgaben haben. Langfristig wollen wir bis zum Jahr 2050 alle Altschulden auf Bundesebene tilgen.
  • Solidarität muss nicht zwangsweise staatlich organisiert werden. Wir begrüßen die Existenz privater Träger und möchten diese besser fördern. Die Konkurrenz durch diese Träger steigert die Effizienz der eingesetzten Transfergelder. Durch eine klare Definition der Aufgaben und eine effiziente Kontrolle wollen wir Missbräuche verhindern.

Liberale Sozialpolitik ist individuell

Gleichmacherei schafft keine soziale Gerechtigkeit. Wir setzen den einzelnen Menschen ins Zentrum unseres Handelns. Unterstützung muss deshalb individuell sein und keine Massenabfertigung. Die Analyse des individuellen Unterstützungsbedarfs ist dabei ein wichtiger Ausgangspunkt. Zu viele Menschen fallen durch das Raster der Paragraphen. Hilfe muss unbürokratischer werden. Sachbearbeiter von Sozialkassen und Behörden brauchen mehr Spielräume. Auch den Unterstützten soll mehr Mitsprache ermöglicht werden, denn Arbeitsuchende kennen oft ihre Qualifikationslücken und wissen wohin sie sich entwickeln möchten.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Mehr als bisher sollen private und kommunale Arbeitsagenturen in der Arbeitsvermittlung gestärkt werden. Durch neuartige Instrumente und einen engen Kontakt mit den Unternehmen vor Ort sind sie in der Regel erfolgreicher als die Bundesagentur für Arbeit, welche einer grundlegenden Neustrukturierung bedarf. Anstelle des bürokratischen Apparats sollen dezentrale, kommunale Jobcenter sowie eine deutlich geschmälerte, für überregionale Maßnahmen zuständige Arbeitsagentur treten. Das Modell der Optionskommunen kann hierbei als Vorbild dienen.
  • Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf sollen mit persönlichen Budgets selbst wählen, welche konkrete Unterstützung sie nutzen wollen. Sie wissen selbst am besten, welche technischen Geräte, Wohnform oder Qualifikationen bei persönlicher Assistenz für sie die den größten Nutzen bringen.
  • Starre Regelungen zum Renteneintrittsalter lehnen wir ab. Wer Anwartschaften erworben hat, kann ab dem Zeitpunkt, ab dem diese das Sozialhilfeniveau übersteigen, selbst entscheiden, wann er aufhören möchte einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Menschen, die auch über das bisherige gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus ihren Beruf ausüben möchten, sollen die Freiheit erhalten dies zu tun.

Liberale Sozialpolitik ist zukunftssicher

Die schrumpfende Bevölkerung stellt besonders die heutigen Sozial­ver­sicherungssysteme vor große Herausforderungen, da diese auf eine große Zahl von Einzahlern und eine deutlich geringere Anzahl von Empfängern aufbaut. Was der Bevölkerungszahl der 1960er Jahren entsprach, wird zukünftig nicht mehr der Lebensrealität gerecht. Der Trend einer leider nicht umzukehrenden schrumpfenden Bevölkerung missachten die aktuell politisch Verantwortlichen leider in großen Teilen und verweigern sich mutigen Reformen.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Die bisherige Finanzierung der bestehenden Sozialversicherungen beruht auf dem Umlageverfahren. Umlagefinanzierte Systeme basieren auf einer großen Zahl von Einzahlern und einer deutlich geringeren Zahl von Beziehern der Leistungen. Aufgrund des demographischen Wandels ist dieses System überholt. Wir fordern demographiefeste Sicherungssysteme durch steuer- und kapitalgedeckte Finanzierungselemente.
  • Eine Privatisierung der Arbeitslosenversicherung lehnen wir ab. Eine private Versicherung ist aufgrund der stark unterschiedlichen Betroffenheit vom Versicherungsrisiko Arbeitslosigkeit nicht realisierbar. Stattdessen fordern wir eine Konzentration der Arbeitslosenversicherung auf ihre Kernaufgabe – die Absicherung zumindest eines Teils des bisherigen Einkommens. Insbesondere sollten Mittel nicht länger für staatlich finanzierte Arbeitsplätze ausgegeben werden, die reguläre Beschäftigung verdrängen. Deshalb sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie Ein-Euro-Jobs abzuschaffen.

Liberale Sozialpolitik ist integrativ

Wir setzen auf gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen. Niemand darf dies aufgrund seiner Herkunft, geistiger, seelischer, körperlicher oder sonstiger Beeinträchtigungen verwehrt werden. Barrieren in der Inanspruchnahme von Teilhabemöglichkeiten wollen wir überwinden.

Wir Jungliberale fordern deshalb:

  • Sprachförderung in der frühkindlichen Bildung, aber auch für Migranten, muss in den Fokus gerückt werden. Die Inanspruchnahme sollte allerdings auch kontrolliert werden. Es bietet sich hier eine Kopplung an soziale Hilfen an.
  • Die Evaluierung und Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse und Ausbildungen sollte dringend vorangetrieben werden. Wer arbeiten möchte, sollte die nötige Unterstützung bekommen.
  • Liberale Familienpolitik hat zum Ziel, Benachteiligungen durch Geschlecht oder sexuelle Orientierung zu beseitigen. Dafür ist die Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf grundlegend. Ebenfalls fordern wir den Abbau der Benachteiligungen alternativer Familien- und Lebensmodelle. Neue Lebensentwürfe, in denen Menschen generationenübergreifend und unabhängig von einer verwandtschaftlichen Beziehung füreinander Verantwortung übernehmen, sind zu respektieren und zu fördern. Wir sehen die „klassische Ehe“ nur als ein Modell unter vielen, in dem Menschen gemeinschaftlich Verantwortung füreinander übernehmen. Zwischen ihr und anderen Verantwortungsgemeinschaften dürfen keine Unterschiede bestehen. Daher ist das Ehegattensplitting abzuschaffen und durch konsequente Individualbesteuerung zu ersetzen.
  • Menschen mit Behinderung sollen die bestmögliche Unterstützung erhalten, ihr Handicap zu kompensieren. Inklusion in Ausbildungs- und Berufsleben müssen eine Selbstverständlichkeit sein. Wir begrüßen deshalb den Rechtsanspruch auf eine inklusive Schulausbildung, den die UN-Behindertenrechtskonvention Menschen mit Behinderungen verleiht. Gemeinsam mit den Selbsthilfeverbänden und den Kommunen muss ein Aktionsplan entwickelt werden, der die einzelnen Umsetzungsmaßnahmen absteckt. Handlungsbedarf besteht insbesondere bei der inklusiven Beschulung innerhalb der beruflichen Ausbildung. Zusätzliche Landesmittel müssen hier nach dem „Rucksackprinzip“ den Schulen mit einem höheren Anteil von behinderten Schülern zur Verfügung stehen, damit eine inklusive Beschulung nicht zur Kürzungen an anderer Stelle führt. Des Weiteren fordern die Jungen Liberalen Baden-Württemberg zeitnah eine vollständige Untertitelung des öffentlich-rechtlichen Medienangebots, auch in Gebärdensprache. Städtebau- und Tourismusförderprogramme müssen hinsichtlich ihrer Maßnahmen zur Barrierefreiheit überprüft werden.

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