22.03.1998

Für eine aktive Stadt: mehr Graswurzeldemokratie


Die liberale Vision einer bürgernahen Stadt

Die beste Regierung ist die mit der größten Bürgernähe. Wir Liberalen wollen politische Kontrolle zurück in die Kommune und zu den Bürgern bringen, damit diese wieder selbst entscheiden können, was sie am besten für sich finden.

Wir wünschen uns deshalb eine Stadt, in der die Regierung und die Verwaltung sich am Bürger orientiert. Politisch Entscheidungen sollen nach wie vor durch die gewählten Gremien getroffen werden. Doch wollen wir für die Meinungsbildung und Konfliktentschärfung bei kommunalen Problemen heute mehr Bürgerbeteiligung. Die von der Verwaltung und der Politik selbst vorangetriebene Bürgerbeteiligung fördert den aktiven Bürger. Bürgerbeteiligung ist eine Politik für die Bürgerköpfe, statt über die Köpfe der Bürger hinweg. Sie entspricht liberalen Vorstellungen von Graswurzeldemokratie. Jede Stadt soll ihre Bürger fragen gehen und sich Empfehlungen geben lassen. Für die Belange der Stadt werden sich viele Bürger interessieren. Sie werden für die Stadt, für ihren Lebensort aktiv werden, und die Stadt wird seine aktiven und wachen Bürger ermutigen. Das ist unsere Vision. Daß Stuttgart mit der offenen Bürgerbeteiligung zu Stuttgart 21 erstmals Vertrauen in die Ideen der Bürger gezeigt hat, ist unsere Hoffnung. Und unsere liberale Tradition der südwestdeutschen Graswurzeldemokratie ist unser Kapital.


Die neue Stadt – den aktiven Bürger ermutigen

Wir fordern folgende institutionellen Voraussetzungen der bürgernahen, dezentralen Stadt:

Das Bürgeramt

Die Stadtverwaltung errichtet ein Bürgeramt

Dieses Bürgeramt dient zwei Zielen: der Information und der Koordinierung und Aktivierung von Bürgerbeteiligung. Die Information der Bürger wird bspw. erreicht durch Hotlines, Auskünfte, Versendung von Informationsmaterial – besonders über Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten in Stadt und Stadtteil – Öffentlichkeitsarbeit (Amtsblatt, Internetseiten). Der Bürger hat eine Frage? Das Bürgeramt weiß Antwort.

Zur Koordinierung und Aktivierung von Bürgerengagement leistet das Bürgeramt nach außen Hilfestellung bei der Suche nach Räumen für Treffpunkte, Kongresse, Veranstaltungen. Es ermutigt zu Engagement, indem es Anleitungen zur Selbsthilfe herausgibt, Seminare etwa zur Pressearbeit, Mitarbeitermotivation und -führung veranstaltet und vermittelt, Erfolge bürgerschaftlichen Engagements dokumentiert, Kontakte vermittelt, Freiwilligenprogramme und Patenschaften koordiniert und ausschreibt, nachbarschaftliche Organisation ermutigt und Bürgerbeteiligung koordiniert. Innerhalb der Stadtverwaltung hat das Bürgeramt die Aufgabe, auf die Transparenz von Planungsverfahren zu achten und für möglichst große Bürgerbeteiligung zu sorgen.

Wahlrecht

Auch nicht EU- Bürger, die seit über fünf Jahren in Deutschland leben und über drei Monate in ihrer Stadt wohnen, sind Bürger dieser Stadt. Sie müssen das kommunale Wahlrecht erhalten.

Die Direktwahl der Bezirksbeiräte (Ortsräte o.ä.), Kompetenzaufwertung

In einer Zeit, in der man über das Internet Nachbarn in Australien hat, darf der örtliche Bürgerrat nicht einmal abschließend über die Gestaltung des lokalen Stadtbildes entscheiden – selbst in Stadtteilen, die sich in der Einwohnerzahl mit (Klein)Städten messen können. Wir fordern deshalb die Aufwertung der Bezirksbeiräte und eine entscheidende Kompentenzaufwertung, insbesondere bei Planungsrechten, zu Lasten des Gemeinderats, sowie die Aufwertung der Bezirksrathäuser als wohnortnahe Serviceangebote. Der Bezirksbeirat ist dem Bürger am nahesten.

Die flächendeckende Einführung von Jugendräten

Jugendräte müssen flächendeckend zur Selbstverständlichkeit werden. Junge Leute mit den unterschiedlichsten Nationalitäten lernen hier heute schon, Verantwortung zu für ihre unmittelbare Umwelt zu übernehmen. Ein Gesamt- Jugendrat mit Delegierten aus den verschiedenen lokalen Räten ist anzustreben.

Bürgerbeteiligung bei Meinungsbildung und Planungsverfahren

Die Bürgerbeteiligung ersetzt nicht die politischen Entscheidungen durch die Gremien. Sie ist lediglich Teil der Entscheidungsfindung. Die vorgeschlagenen Modelle sind bereits in der Praxis erprobt und bewährt, aber nicht flächendeckende Praxis. Wir fordern Modellversuche zu ihrer Anwendbarkeit in verschiedenen Städten.

Zukunftsforen

Ziel: generelle Leitbilder, Prinzipien und Visionen zur Stadt werden diskutiert und geklärt, wie bspw. „Was heißt Sportstadt?“ Beteiligung: offen für alle Bürger der Stadt Form: offene mehrmalige Veranstaltung zu konkreten Projekten, moderiert mit Arbeitskreissitzungen und Plenum

Planungszelle

Ziel: tendentielle Meinungsbildung bei Großprojekten, wie bspw. Stuttgart 21 Beteiligung: etwa 20-25 (örtlich) betroffene Bürgerinnen und Bürger, die per Zufallsverfahren gebeten werden, in einer Planungszelle mitzuarbeiten Form: Kleingruppen beraten mit Experten und im Plenum, geben nach kurzer Frist Empfehlung (=Bürgergutachten) ab

Mehrstufiges Dialogisches Verfahren

Ziel: Erstellung eines „Bürgergutachtens“ zu einem örtlichen Planungsproblem, bspw. dem Neubau einer Straße Beteiligung: Repräsentanten etablierter Gruppen, (örtlich) betroffene Bürger Form: Drei aufeinander bezogene Schritte, deren letzter die Planungszelle ist. Dabei wird zunächst in Interviews die politisch-gesellschaftliche Situation vor Ort erhoben, im zweiten Schritt werden Repräsentanten wichtiger Gruppen um Stellungnahmen zum Problem gebeten. Auf dieser Grundlage wird das Bürgergutachten durch die Planungsstelle erstellt.

Mediation

Ziel: Entschärfung eines örtlich bestehenden Interessenkonfliktes zu durch ein von allen Beteiligten freiwillig akzeptiertes Ergebnis, bspw. beim Bau einer Moschee. Beteiligung: Vertreter der Konfliktparteien, ein von allen akzeptierter Moderator Form: Der Moderator gestaltet die Diskussion zwischen verschiedenen Interessenpunkten ergebnisorientiert – Das Ergebnis unterliegt aber immer der politischen Entscheidung durch die gewählten Gremien.

Erleichterung von ehrenamtlichen Engagement und Nachbarschaftshilfe

Die bestehenden bürokratischen Hürden zu ehrenamtlichen Engagement, wie Nachbarschaftshilfe sollen abgebaut werden.

Neue Formen gemeinschaftlicher Leistung

Warum etwa muß man Steuern für staatlich erbrachte Leistungen bezahlen, wenn diese Leistungen auch von den Bürgern selbst erbracht werden können? Wir halten es für an der Zeit, zu überlegen, inwieweit finanzielle Abgaben an die Stadt nicht durch direktere Formen gemeinschaftsorientierter Beiträge ersetzt werden können? In anderen Worten: Warum soll das Modell der Feuerwehrabgabe – entweder dienen oder zahlen- nicht auf andere Bereiche übertragen werden können? Auch der Bürger muß in Zukunft die Wahl haben, zu zahlen oder gemeinnützige Arbeit zu leisten und dadurch von Teilen seiner Steuern und Abgaben entlastet zu werden.

Jährlicher öffentlicher Rechenschaftsbericht des OB

Der von dem Bürgern gewählte Oberbürgermeister sollte einmal im Jahr einen Rechenschaftsbericht vor den Bürgern ablegen – vom Rathausbalkon auf den Marktplatz herunter. Diese symbolische Geste, die der Ulmer Graswurzeltradition entnommen ist, verdeutlicht die Bürgernähe des obersten Verwaltungchefs.

Die neue Verwaltung

Die Verwaltung arbeitet in Eigenverantwortung und ohne detaillierte politische Überwachung nach den politischen Richtlinien der gewählten Gremien Gemeinderäte und Bezirksbeiräte. Bürger, die Nutzer kommunaler Dienstleistungen, bewerten in jährlichen Umfragen die Leistungen der Stadtverwaltung (New Public Management). Innerhalb der Verwaltung werden einmal im Jahr Einsparungsvorschläge gemacht. Die Verwaltungsmitarbeiter müssen von einem Gefühl von Verantwortung für die Stadt geprägt sein und öffentlich anerkannt werden.

Bürgerzentren

Bürgerzentren in den einzelnen Stadtteilen sind attraktiv gestaltete Räume, die für Bürgeraktivitäten genutzt werden können – Orte der Begegnung von Nachbarn. Sie könnten bei den Bezirksrathäusern untergebracht werden. Ihre Teilbewirtung könnte etwa verpachtet sein, in ihnen könnten Ausstellungen und Treffen stattfinden, Informationsmaterial finden, Tages- und Wochenzeitungen sowie ein Zugang zum Internet. Träger der Bürgerzentren könnten lokale Nachbarschaftsvereine und die Stadtverwaltung sein.

Verkleinerung des Gemeinderates

Der Gemeinderat spielt nach wie vor eine herausragende Rolle für die Stadt. Nach wie vor werden hier die Leitlinien der Kommunalpolitik festgelegt. Doch die von den Liberalen erwünschte Aufwertung der Bezirksbeiräte, ein verstärktes Engagement der Bürger und eine stärkere Managementorientierung in der Stadtverwaltung werden auch die Rolle und Struktur eines sich auf seine wesentlichen Aufgaben beschränkenden Gemeinderates berühren. Dabei darf die Verkleinerung des Gemeinderates kein Tabu sein.

Weitere Beschlüsse

Fit ohne Grenzen: Die 24/7-Revolution für unser Dorf!

Wir fordern eine Anpassung der bestehenden Lärmschutzverordnungen und der bestehenden Baurechtlichen Vorgaben, um den Betrieb von Fitness-Studios rund um die Uhr...

One Software to rule them all

Der Beschaffungsprozess von Software für Kommunen, Ämter und andere staatliche Institutionen (wie z.B. Schulen) ist ein beschwerlicher Prozess, der viel Zeit...

Mit dem Laptop am Pool – Workation auf eigene Verantwortung

 Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern eine grundlegende Vereinfachung der zeitweiligen Arbeitsausübung aus dem EU-Ausland.  In der Praxis zeigt sich, dass die...
Kategorien:
Filter Beschluss Organ
Mehr anzeigen