16.03.2003

Grundsätze einer liberalen Spätaussiedlerpolitik – fördern und fordern

 


Situation und Grundforderungen

Seit 1950 sind mehr als vier Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland immigriert. Besonders nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stieg die Zahl der Aussiedler auf 400 000 Zuwanderer allein in 1990 an. Wenn sich auch die jährliche Zuwanderungsquote auf heute unter 100 000 Spätaussiedler, die vor allem aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zuziehen, verringert hat, wurde deren Integration in die deutsche Gesellschaft auf Jahrzehnte hin vernachlässigt. Die Jungen Liberalen erkennen die besondere Verantwortung der BRD gegenüber dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe an.

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern aber auch die Bundesregierung auf, die Regierungen der Nachfolgstaaten der Sowjetunion zum Eingeständnis der eigenen Mitschuld zu bewegen.

Neben den sozialen Problemen der Spätaussiedler, die vor allem auf eine fehlgeleitete Integrationspolitik zurückzuführen sind, trägt diese Zuwanderungsgruppe aber auch mitunter zur Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik bei: 43,5 Prozent der Spätaussiedler, die durch das Bundesvertriebenengesetz nach Deutschland gelangen, sind jünger als 25 Jahre. Es ist daher eine Verpflichtung, diese Kapazitäten zu nutzen, um nicht etwa Humanpotential zu verschwenden. Trotz leerer Kassen gilt: Je früher die Integration einsetzt, desto größer ist der Erfolg der Eingliederung und desto geringer sind die Folgekosten (Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Parallelgesellschaften).

Zuwanderung bedeutet mehr als „Aufnehmen“ – erst Integration ist bei jeglicher Migration sinnstiftend!

Da Deutschland seine Verpflichtungen gegenüber den deutschen Minderheiten im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion weder leugnen darf noch kann, muss dieses „Risiko“ als Chance genutzt werden.

Jedoch muss es ebenso Ziel sein, mittels anspruchsvoller Sprachtests einerseits die Chancen der Integration realistisch zu prüfen, andererseits aber auch die Integration der noch nicht in Deutschland lebenden „Russlanddeutschen“ in größtmöglichem Maße zu gewährleisten. Auch die Zuwanderung durch Spätaussiedler muss somit reguliert und auf ein verträgliches Maß begrenzt werden. Vorrangig gilt die Integration bereits zugewanderter Spätaussiedler als primäres Ziel.


Forderungen zur erfolgreichen Integration

Verbesserung der Integration durch Überprüfung der Integrationsfähigkeit

Um Spätaussiedlern und ihren Ehegatten und Abkömmlingen bestmögliche Integrationsvoraussetzungen gewährleisten zu können, muss schon in ihrem Heimatland die Erfolgschance der Integration bei einem eventuell folgenden Zuzug geprüft werden. Dabei ist die Sprachkompetenz der Schlüssel einer erfolgreichen Integration. Bisher muss der Antragssteller auf Anerkennung als Spätaussiedler im Sinne des BVFG einen sog. „einfachen“ Sprachtest ablegen. Dies bedeutet, dass der Spätaussiedler in der Lage sein muss, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen. Die Erfolgsquote lag hier bei 47,7% in 2000. Seine Familienangehörigen müssen einen solchen Sprachtest (außer bei freiwilliger Beschleunigung des Verfahrens, dann zudem alle Familienangehörigen: in diesem Falle gilt der „qualifizierte“ Sprachtest) nicht ablegen.

Wir fordern, dass alle Migranten, die über das Bundesvertriebenengesetz nach Deutschland einwandern wollen, wie folgt einen Sprachtest ablegen müssen:

Der bisher gebräuchliche „einfache“ Sprachtest wird durch den „qualifizierten“ Sprachtest ersetzt. Heute liegt bei diesem Test die Erfolgsquote bei ca. 20%.
Der Test wird mündlich durchgeführt, jedoch wird verstärkt auf Inhalte Wert gelegt, die eine Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur voraussetzen
Jeder Spätaussiedler kann diesen Aufnahmetest nur zweimal absolvieren
Besteht der Antragsteller diesen Test nicht, wird die Einreise über das BVFG ausgeschlossen
Kinder unter 10 Jahren sind von diesem Test ausgenommen

Sprache als Schlüssel der Integration

Das Erlernen und Beherrschen der deutschen Sprache als Basis einheimischer Kultur ist die Voraussetzung für ein friedvolles, faires Zusammenleben. Leider sind in den vergangenen Jahren die Deutsch-Sprachkenntnisse der Spätaussiedler und ihrer Familien stark zurückgegangen. Doch gerade hier müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese erste Hürde für den Eintritt ins Arbeitsleben bzw. in die einheimische Gesellschaft bewältigt werden kann. Spätaussiedlern und Migranten sind vehement Möglichkeiten anzubieten, sich eine ausreichende Sprachkenntnis anzueignen bzw. vorhandene Sprachqualifikationen auszubauen, zu deren Nutzung diese dann jedoch auch verpflichtet werden:

Sprachkurse für Jugendliche und Erwachsene

Unter Rot-Grün wurde der Anspruch auf einen sog. „Eingliederungskurs“, ein Deutschkurs mit erweiterter Wissensvermittlung zur Integration in das Alltagsleben, von 12 Monaten auf 6 Monate gekürzt. Zudem haben nur Spätaussiedler nach BVFG, §4 Anspruch. In dieser Zeit wird den Spätaussiedlern täglicher Unterricht angeboten.

Forderungen:

  • Alle durch das BVFG Zugewanderten, die sich nicht mehr in schulischer Ausbildung befinden, haben Anspruch auf den Eingliederungskurs
  • Der Eingliederungskurs ist grundsätzlich zeitlich unbegrenzt (nach einem Jahr wird dem Teilnehmer jedoch ein Zeugnis ausgestellt; sollte nach zwei Jahren noch immer keine ausreichende deutsche Sprachkompetenz erreicht worden sein, entscheidet die jeweils zuständige Behörde gemeinsam mit dem Träger des Kurses über das weitere Vorgehen). Der Eingliederungskurs endet, wenn dem Teilnehmer eine „alltagstaugliche“ Sprachqualifikation bescheinigt werden kann
  • Bei Berufstätigkeit findet der Eingliederungskurs berufsbegleitend statt
  • Die Teilnehmer der Kurse werden zur Teilnahme verpflichtet
  • Bei wiederholtem unentschuldigtem Fernbleiben werden empfangene soziale Leistungen gekürzt, im Notfall sogar ganz gestrichen
  • Regelmäßige Leistungstests (etwa im Abstand von drei Monaten) garantieren einen erfolgreichen Eingliederungskurs
  • Zur Feststellung der Leistungssteigerung unterzieht sich der Spätaussiedler nach Ankunft in Deutschland einer detaillierten Überprüfung des Wissensstandes, um so Schwachstellen ausmachen zu können
  • Auch bei ausbleibender Verbesserung der Sprachkompetenz können vorübergehend soziale Leistungen gekürzt werden. In Ausnahmefällen wird von diesen Konsequenzen abgesehen, sollte es belegbare Gründe dafür geben
  • Die Gruppengröße bei den Integrationstests muss radikal verkleinert werden, um speziell Leistungsstarke zu fordern und Leistungsschwache zu fördern. Dies verkürzt die Gesamtdauer des Integrationskurses und verursacht spart Kosten ein
  • Neben dem Integrationskurs erhält der Spätaussiedler auch eine Unterrichtung über das „Alltägliche in Deutschland“ – einen Ansprechpartner, der einen „Leitfaden“ für das Leben in der BRD vermittelt. Erfüllt werden kann diese Rolle vom Eingliederungsamt, das heute schon als Behörde der Landratsämter mit dieser Aufgabe (ansatzweise) vertraut ist (ähnlich der Idee der Bundesregierung: „Orientierungskurs für alle Zuwanderer“)

Altersgerechte Deutschkurse für Kinder und Jugendliche

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern, dass Migrantenkindern aus Spätaussiedlerfamilien bereits im Kleinkindalter, also zu Beginn des sprachlichen Lernprozesses die Möglichkeit zum Erlernen der deutschen Sprache gegeben wird. Dies soll beispielsweise in „Mischgruppen“ in Kindergärten im Austausch mit einheimischen Kindern vonstatten gehen. Sollten beim Erlernen der deutschen Sprache Probleme auftreten, besteht die Möglichkeit, diese Kinder mit speziellen pädagogischen, altersgerechten Sprachkursen zu fördern.

Migranten in schulischer Ausbildung

Die Jungen Liberalen fordern, dass schulpflichtige Migranten aus Spätaussiedlerfamilien gemeinsam mit deutschen Schülern in den altersgemäßen Planunterricht gehen. Die soziale Integration in den Klassenverband Einheimischer hilft, Schranken zu brechen und macht Migrantenkinder nicht zwingend zu Außenseitern. Da jedoch davon auszugehen ist, dass das individuelle Aufnahmevermögen im Vergleich zu ihren Klassenkameraden aufgrund zurückgebliebender Deutschkenntnisse geringer ist, muss ihnen zusätzliche Unterstützung zukommen. Um nicht aufgrund von ungenügender Sprachkompetenz jeglicher Qualifikationschancen beraubt zu werden, muss

  • neben dem Regelunterricht zusätzlicher Förderunterricht angeboten werden. Hierbei werden ausschließlich in deutscher Sprache Unterrichtsinhalte wiederholt
  • dieser besondere Unterricht aber auch lernschwachen einheimischen Schülern sowie anderen Migrantenkindern offen stehen, um zudem die sozialen Kontakte zu verbessern

Unterstützung von Integrationsprojekten

Die Bundesregierung soll in Zukunft sowohl schon bestehende Förderprojekte zur Integration von Spätaussiedlern weiter unterstützen als auch neue Projekte fördern. Besonders im Bereich des Sports sowie des Vereinslebens allgemein soll die Einbindung von Migranten nach BVFG sowie übrige Migranten gefördert werden. Auch in Jugendhäusern etc. ist der Kontakt zwischen einheimischen und zugewanderten Jugendlichen zu befürworten.

Verhältnis zu Spätaussiedlern in den Aussiedlungsgebieten

Derzeit stellt der Bund jährlich rund 50 Mio. € für die Unterstützung deutscher Volkszugehöriger in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zur Verfügung. Die Jungen Liberalen fordern, dass von den unterstützen Projekten nur diejenigen weiter gefördert werden, die der direkten Integration in die heimische Gesellschaft der Aussiedlungsgebiete dienen. Besonders Deutschkurse sind künftig nicht mehr zu unterstützen, weil sie der schrittweisen Integration nicht förderlich sind. Vielmehr können sie zu einem Identitätsverlust führen. Weiter sind Projekte zur Einbindung der Deutschstämmigen in das soziale Alltagsleben zu fördern. Ideelle Unterstützung im Rahmen von Städtepartnerschaften und Schüleraustausch etc. wird auch zukünftig gefördert. Eine langfristige Eingliederung in die Kultur des Heimatlandes muss das große Ziel sein.

Mitverantwortung der Regierungen in den Siedlungsgebieten

Es ist nicht einzusehen, dass allein Deutschland Verantwortung für die deutschstämmige Minderheit in den Siedlungsgebieten übernimmt. Vielmehr müssen nun auch die jeweiligen Regierungen Verantwortung übernehmen. Gesetzliche Benachteiligungen müssen sofort abgebaut und aufgehoben werden. Entschädigungszahlungen für eventuelle physische oder psychische Schäden kommen hierbei in Betracht. Die Bundesregierung übt mit diesem Ziel vermehrt diplomatischen Druck auf die jeweiligen Regierungen aus. Das Schicksal der Spätaussiedler wurde von der Sowjetunion und den Folgestaaten mitverschuldet! Von der Bundesrepublik unterstützte Projekte in den Aussiedlungsgebieten, die dem Abbau von Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit dienen, sind zudem finanziell von den jeweiligen Staaten zu unterstützen. Die Folgerepubliken haben sich finanziell wie ideell für eine bestmögliche Integration deutscher Minderheiten in die Gesellschaften im ehemaligen Sowjetgebiet einzusetzen, um Zuwanderung in einem für Deutschland unverträglichen Maße zu verhindern.

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