19.09.2004

Neue Wege in der Vorschulbildung


Präambel

Bildung im Kindergarten ist nicht erst seit PISA ein Thema. Erziehung, Bildung und Betreuung – das sind wichtige Aufgaben der Kindertageseinrichtungen. Sie und andere Tageseinrichtungen nehmen zum Großteil ihren Auftrag ernsthaft und engagiert wahr. Das heißt nicht, dass alles einfach so weiter gehen soll wie bisher: Leistungen sind zu überprüfen und neue Akzente zu setzen ist unabdingbar – selbstverständlich auch in Kindertageseinrichtungen. Pädagogische Konzepte und praktische Unsetzung müssen ständig den veränderten Bedingungen und neuen Anforderungen entsprechend weiter entwickelt werden.

Bildung im Kindergarten indessen ist ganzheitliche Bildung und ausdrücklich etwas anderes als schulische Bildung. Sie soll nicht in erster Linie Wissen vermitteln, sondern Grundkompetenzen, sie soll die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder unterstützen, ihre Lust am Lernen fördern und die Fähigkeit, selbst Neues zu entdecken. Die Kinder sollen Kreativität, Sozialverhalten und die Fähigkeit zur Konfliktlösung entwickeln, ihre Sprach- und Sprechkompetenzen steigern und den Umgang mit Medien erlernen. Dazu brauchen Kinder im Kindergartenalter andere Angebote und Rahmenbedingungen als Schulkinder. Ihre kognitive, emotionale und soziale Entwicklung wird in altersgemischten Gruppen gefördert. Dabei muss der Kindergarten als Lebens- und Lernraum die jeweilige Lebenssituation der Kinder und ihrer Familien berücksichtigen.

Kinder sind nicht nur Angelegenheit ihrer Familien, sondern vielmehr eine Gruppe in der Gesellschaft, die in besonderem Maße die Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft erfordert. Für die Zukunft unserer sich wandelnden Gesellschaft brauchen wir wachsame, aufgeweckte, scharfsinnige, kreative, eigenverantwortlich, demokratisch denkende Menschen. Wir wollen unseren Kindern heute die Chance geben, sich zu diesen zu entwickeln. Diese Aufgabe liegt nicht nur in der Verantwortung der Eltern, sondern auch in der Verantwortung der Politik. Die Jungen Liberalen setzen sich deswegen für eine grundlegende Neustrukturierung bei der Erziehung und Betreuung von Kindern in Deutschland ein.


Forderungen

Kleine Gruppen – Individuelle Betreuung

In Kindergärten sollen Gruppen entstehen, die sich nach etwa gleich weitem Entwicklungsstand zusammensetzen und möglichst klein sein sollen, damit die Betreuer sich auch ausreichend um „ihre“ Kinder kümmern können. So ermöglicht man ein Lernen von- und miteinander. Kinder motivieren sich gegenseitig und bringen sich untereinander etwas bei, Betreuer geben Lernanstöße. Fremdsprachen sollen als Wahlmöglichkeit für alle angeboten werden, wobei darauf zu achten ist, die Kinder dadurch keinesfalls zu überfordern. Individuelle Betreuung und Förderung ist von enormer Wichtigkeit. Die unterschiedlichen Talente sollen auch unterschiedlich gefördert werden. Das Kind und dessen Vorbereitung aufs Leben stehen im Vordergrund der Kindergartenbetreuung.

Wir fordern deshalb:

  • möglichst kleine Betreuungsgruppen.
  • die Entwicklung bundesweiter, pädagogischer Mindeststandards für Kindertageseinrichtungen. Qualitätsstandards machen den Auftrag der Kindertageseinrichtungen transparent und die Fortschritte der Kinder für die Eltern überprüfbar.
  • das Angebot einer Fremdsprache als Wahlmöglichkeit.

Volle drei Jahre Kindergarten sind am sinnvollsten

Ein kontinuierlicher Kindergartenbesuch über drei Jahre bietet Kindern optimale Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Das gilt gerade auch für Kinder aus zugewanderten Familien. Kinder, die gar nicht oder nur kurz den Kindergarten besuchen, verpassen Bildungschancen. Wir wollen im Grundsatz den Besuch des Kindergartens über drei Jahre für alle Kinder.

Wir wollen:

  • entsprechend der Entwicklung des Platzbedarfs eine entsprechende Ausweitung bzw. Veränderung des Betreuungsangebots von Kindertageseinrichtungen finanziell zu unterstützen.
  • allen Familien einen dreijährigen Besuch des Kindergartens als Bildungschance für ihre Kinder nahe legen.
  • über die regionalen Verbünde zur kooperativen Migrationsarbeit und andere Stellen ausländische Familien sowie Spätaussiedlerfamilien gezielt auf die bestehenden Angebote hinweisen und für einen dreijährigen Kindergartenbesuch werben.
  • unter anderem mit Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen bei Familien diese Werbung verstärken.

Ausweitung des Betreuungsservices

Bislang haben Eltern einen Rechtsanspruch für Kinder (von drei bis sechs Jahren) auf einen Kindergartenplatz für mindestens 5×4 Stunden pro Woche. Einen nicht unerheblichen Teil der Kosten müssen die Familien tragen. Aus Sicht der Jungen Liberalen ist dieses Betreuungsangebot zeitlich unzureichend.

Wir müssen deshalb:

  • einen Rechtsanspruch auf einen sechsstündigen Kindergarten ab dem dritten Lebensjahr gewährleisten. Insbesondere Kinder, die durch mangelnde Unterstützung im familiären Umfeld schlechtere Startbedingungen haben, kann ein pädagogisch aufgewerteter Kindergarten einen Ausgleich schaffen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein höherer Bildungsteil – den wir anstreben – aufgrund der Aufnahmefähigkeit in diesem Alter eigentlich nur Halbtags erfolgen kann. Flankierend dazu werden die Eltern, die vielleicht einem Beruf nachgehen, entlastet. Paragraph 24 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) ist entsprechend zu ändern. Die Finanzierung wird in Punkt III. näher erläutert.
  • eine bedarfsgerechte Ausdehnung der Ganztageskindergartenplätze einfordern. Für viele Eltern ist der Erhalt der Vollzeitbeschäftigung das entscheidende Kriterium für oder gegen Kinder.
  • flexiblere Öffnungszeiten schaffen. Eltern, die in Schicht- oder Nachtdienst arbeiten haben häufig Probleme, ihre Kinder entsprechend betreuen zu lassen. Deshalb müssen wir bedarfsentsprechend Angebote schaffen, die sich an diesen Bedürfnissen orientieren. Auch die Betriebe sind aufgefordert über das Angebot eines Betriebskindergartens oder ähnlichem nachzudenken.

Bessere Sprachförderung

Ein möglichst reibungsloser Übergang vom Kindergarten in die Schule ist für die schulische Entwicklung der Kinder notwendig. Eine verstärkte Kooperation zwischen Schule und Kindertagesstätte ist hierzu erforderlich. Damit der Übergang besser gelingt, ist auch nötig, frühzeitig vor dem Eintritt in die Schule den Entwicklungsstand der Kinder zu kennen und mit gezielter Förderung noch vorhandene Defizite auszugleichen. Gute Sprach- und Sprechkompetenzen sind notwendige Grundlage für alle (weiteren) Lernprozesse und für die gesellschaftliche Teilhabe aller jungen Menschen. Dazu gehören gute Kenntnisse der deutschen Sprache – sie sind notwendige Voraussetzung für gleiche Bildungs- und Entwicklungschancen. Sprech- und Sprachförderung muss deshalb so früh wie möglich beginnen. Kinder im Kindergartenalter entwickeln ihre sprachlichen Fähigkeiten am besten, wenn Sprache und Sprechen unmittelbar mit ihren Erlebnissen verbunden sind. Das bedeutet nicht, nach dem Zufallsprinzip zu arbeiten, sondern gezielte Sprachförderung zu betreiben, die an die Erfahrungswelt der Kinder anknüpft. Deutsch muss natürlich Pflichtsprache im Kindergarten sein, auch wenn nur ausländische Kinder in den Gruppen sind.

Die JuLis wollen:

  • verbindliche Sprachdiagnosetest im Alter von vier Jahren zur Erkennung von Sprachdefiziten einführen
  • die Sprach- und Sprechkompetenz aller Kinder bei entsprechendem Sprachförderbedarf diese Kinder zu Sprachkursen verpflichten.
  • die Ausbildung der sozialpädagogischen Fachkräfte in den Kindertagesstätten zum Thema Sprachförderung weiter verstärken.

Einschulung mit sechs Jahren als Regelfall

Das derzeitige Einschulalter in Deutschland beträgt 6,8 Jahre. Die Jungen Liberalen fordern eine Aufhebung der engen Schulpflichtgrenze in Deutschland und die flexible Einschulung nach dem Entwicklungsstand des Kindes. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder sich schon in einem sehr viel früheren Alter, durchschnittlich mit sechs Jahren, sehr konkret mit Wissensfragen auseinandersetzen können und nicht überfordert werden.

Förderung von Kindergärten in privater Trägerschaft

Kindergärten in privater Trägerschaft führen zu einer größeren Wahlmöglichkeit in der Vorschulbildung und erweitern die Bildungschancen der Kinder. Der Staat kann kein umfassendes Angebot von unterschiedlichen pädagogischen Konzepten schaffen, dies kann nur durch den Wettbewerb zwischen privaten und staatlichen Kindergärten erreicht werden.

Die Politik muss deshalb für private Initiativen werben und dafür sorgen, dass private Einrichtungen weder bei der Mittelvergabe noch bei der Bewertung ihrer Leistung durch Zertifikate benachteiligt werden.

Qualifizierte Betreuung

Damit diese Schwerpunkte in Kindergärten umgesetzt werden können, benötigt man auch gewisse verbindliche Anforderungen an die Betreuer. Jeder Betreuer muss eine abgeschlossene praxisnahe Ausbildung als Erzieher/in nachweisen. Für die Ausfüllung pädagogischer Mindeststandards ist eine Reform der Ausbildung der Erzieher/-innen erforderlich. Die heutigen Erzieherinnen in Leitungsfunktionen sollen durch Nachschulung qualifiziert werden. Nach der Ausbildung sollen zudem regelmäßig verbindliche Fortbildungsmaßnahmen stattfinden. So kann dem Kind eine optimale individuelle Erziehung und Betreuung im Kindergarten ermöglicht werden.

Finanzierung – KiTa-Card

Die gegenwärtige Finanzierungsstruktur in Deutschland ist fragwürdig: Warum steigt proportional mit dem Alter unserer Kinder das in sie investierte Budget, obwohl bekannt ist, dass sich ihre Aufnahme- und Lernfähigkeit und –Willigkeit umgekehrt verhält? Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Finanzsituation der Kindergärten verbessert wird. Ein Kindergartenplatz muss in Zukunft kostenfrei sein.

Von der Finanzierungsquelle abgesehen, müssen wir in der Methode weg von der Objekt- hin zur Subjektförderung kommen. Wir schlagen in diesem Zusammenhang die Einführung einer KiTa-Card vor.

Das bedeutet

Die Eltern eines Kindes, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, erhalten pro Kind eine ausreichende Anzahl von Betreuungsgutscheinen. Diese sind auf den Namen des Kindes ausgestellt und nicht übertragbar. Die Gutscheine können bei jeder Betreuungsstelle oder Tagesmutter bis höchstens zur Vollendung des siebten Lebensjahres eingelöst werden. Die Einrichtung oder die Tagesmutter erhält pro Gutschein einen festgelegten Gegenwert vom Staat. Die Eltern können und müssen somit eigenverantwortlich entscheiden, welchem Träger, egal ob staatlich, kirchlich oder privat, sie ihr Kind anvertrauen. Um die Entscheidung etwas zu erleichtern und die Qualität der Betreuung zu sichern, vergibt der Staat Zertifikate an diejenigen Einrichtungen, die regelmäßig die bildungspolitischen Zielvorgaben erreichen. So entsteht ein Wettbewerb zwischen den „guten“ und „schlechten“ Kindergärten, der sich an der Qualität der Kindergärten orientiert. Dadurch haben „Neuanbieter“ die Möglichkeit sich in einem fairen und leistungsbezogenen Angebot zu profilieren. Es muss dabei jedoch gewährleistet werden, dass jedes Kind einen Kindergartenplatz erhalten kann.

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