19.09.2004

Was die FDP jetzt braucht

Die FDP Baden-Württemberg hat einen äußerst schwierigen Sommer hinter sich. Begleitet von wochenlangen Negativschlagzeilen traten innerhalb weniger Wochen beide liberalen Landesminister zurück. Die Partei wurde öffentlich nur noch mit den Affären in Verbindung gebracht. Dass die Betroffenen, insbesondere Walter Döring und Corinna Werwigk-Hertneck dabei nicht immer nur fair behandelt wurden, etwa indem die Unschuldsvermutung nicht durchweg Beachtung fand, ist bedauerlich. Dennoch darf die FDP nicht der Versuchung erliegen, sich als Opfer unglücklicher Umstände zu fühlen und in Selbstmitleid zu verfallen. Das Grundübel war in beiden Fällen hausgemacht und selbst verschuldet. Die Menschen erwarten zu Recht Konsequenzen aus den Geschehnissen und Antworten auf die Frage, warum die FDP auch zukünftig und möglichst gestärkt an der Landesregierung beteiligt sein sollte.

Die JuLis wollen, dass die FDP auf diese offenen Fragen überzeugende Antworten findet, dass sie dafür Sorge trägt, dass in Zukunft keine Unregelmäßigkeiten mehr auftreten und dass die umfassende Veränderung, die sich in der Partei vollzieht, auch dazu genutzt wird, Schwächen abzustellen, die schon seit längerer Zeit bestehen. Nötig ist der Aufbau mehrerer inhaltlicher Standbeine sowie mehr Mut und mehr Konsequenz in programmatischen Fragen. Ferner muss die FDP ihren Beitrag dazu leisten, dass nicht immer mehr Menschen der Politik den Rücken kehren. Der personelle Neustart der Landes-FDP ist eine gute Gelegenheit, den Kampf um neues Zutrauen in die Politiker und gegen Politik- und Parteienverdrossenheit aktiver zu führen. Das wäre ein Beitrag zur Verbesserung unseres politischen Klimas und zur tatsächlichen Demokratisierung der Gesellschaft, böte für die FDP aber auch die große Chance, von vielen derzeit mit der Politik unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern als echte Alternative angesehen zu werden.


Aktive Bewältigung der Affären und Rücktritte

Bevor sich der Blick wieder nach vorne wenden kann, muss mit der Vergangenheit abgeschlossen werden. Dazu gehört, dass Fehlerquellen ausgemacht und Konsequenzen gezogen werden.

Ehrlicher und selbstkritischer Umgang mit der Thematik

Wenn immer wir Liberalen mit den Ministerrücktritten konfrontiert werden, ist ein ehrlicher und selbstkritischer Umgang angezeigt. Wir JuLis warnen davor, das, was war, herunterzuspielen. Auch die Tatsache, dass es bei Politikern aller Parteien immer wieder zu ähnlichen Versäumnissen und Unregelmäßigkeiten gekommen ist, ist eine Ausrede, die uns schlecht ansteht. Wenn wir die Fehler, die gemacht wurden, offen eingestehen, zeigen wir, dass wir verstanden haben, was das Problem war. Nur so gewinnen wir das Vertrauen der Menschen zurück.

Absolut korrektes Verhalten insbesondere in Regierungsämtern

Wir JuLis erwarten von der FDP einen besonders konsequenten Umgang mit geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des politischen Geschäfts. Den Menschen geht allmählich das Vertrauen in die Integrität der Politik und der Parteien verloren. Vorteile im politischen Meinungskampf sind nicht jeden Preis wert. Neben der an sich selbstverständlichen Einhaltung aller Gesetze ist für uns unabdingbar, dass alle Repräsentanten der FDP in ihren jeweiligen Ämtern eine hinreichende Sensibilität dafür entwickeln, was – auch ohne ein Gesetzesverstoß zu sein – mit ihrem Amt unvereinbar sein oder dessen öffentliches Ansehen beschädigen könnte. Insbesondere an Regierungstätigkeit sind strenge Anforderungen zu stellen. Regierungs- und Parteifunktionen sind strikt auseinander zu halten. Ebenso wiederholen wir unsere Forderungen nach konsequenter Trennung von Regierungsamt und Land- bzw. Bundestagsmandat und damit der Wahrung der Gewaltenteilung.

Mehr Teamarbeit

Walter Döring hat das Erscheinungsbild der FDP im Land in der Vergangenheit größtenteils allein geprägt. An die Stelle des allgegenwärtigen Vorturners ist jetzt ein Team von Persönlichkeiten getreten, auf dessen gute Zusammenarbeit die Partei dringend angewiesen ist. Die Teamlösung erhöht die Wahrnehmbarkeit der FDP, spricht unterschiedliche Personenkreise an und macht die Partei resistenter gegen personelle Umbrüche.

  • Die Fraktion muss darauf achten, dass sie in den Schlüsselbereichen, in denen das Land tatsächlich eigene Gestaltungsspielräume hat, mit wahrnehmbaren und profilierten Persönlichkeiten auftritt.
  • Außerdem muss die Fraktion – auch durch häufigere Besuche der Abgeordneten in den einzelnen Kreisverbänden – die FDP-Mitglieder auf allen Ebenen regelmäßiger und ausführlicher über liberale Erfolge informieren, von denen man zuweilen nur durch Zufall überhaupt erfährt.
  • Die JuLis halten an ihrer Forderung fest, in der Satzung die Position eines Generalsekretärs zu schaffen. Diese Position gibt es sowohl bei der CDU wie auch bei der SPD im Land. Der Generalsekretär kann kantig nach außen auftreten und gleichzeitig die intensive Basisarbeit leisten, die notwendig ist, um die Positionen und Erfolge der Regierungspartei FDP an die besten Multiplikatoren zu bringen, die eine Partei hat: ihre Mitglieder.
  • Im Präsidium der Landespartei muss eine feste Geschäftsverteilung vereinbart werden, in deren Rahmen jedes Präsidiumsmitglied Verantwortung für ein wichtiges inhaltliches Projekt der FDP übernimmt und mit diesem Thema über eine längere Zeit konstant an die Öffentlichkeit geht.
  • Partei und Fraktion müssen in Zukunft besser zusammenarbeiten. Die Fraktion hat ein Recht darauf, dass die Partei hinter ihr steht und sich nicht durch den oft allzu bequemen Hinweis auf die Fähigkeit oder Unfähigkeit der Fraktion aus der eigenen Mitverantwortung windet oder, schlimmer noch, die Fraktion pauschal schlecht redet. Die Fraktion hingegen muss der Partei stärker als bisher vermitteln, dass sie in ihrer Gänze mit vollem Einsatz das Programm der FDP vertritt und dass die Partei in ihr tatsächlich stets ein offenes Ohr und einen wirksamen parlamentarischen Arm hat.
    Die bessere Zusammenarbeit von Partei und Fraktion ist Grundvoraussetzung für den künftigen Erfolg der FDP.

Führungskräfte von morgen gezielt aufbauen

Was die FDP besonders nötig hat, ist eine verbesserte Nachwuchsförderung. Der zahlenmäßig relativ schwachen „mittleren“ FDP-Generation folgt die relativ große Gruppe der unter 35-jährigen Parteimitglieder.

  • Die Jüngeren in der FDP müssen gefördert und darauf vorbereitet werden, schon früh mehr Verantwortung übertragen zu bekommen.
  • Doch auch in der „mittleren“ Generation muss verstärkt um engagierte Mitglieder und potenzielle Führungskräfte geworben werden. Vielen in dieser Altersgruppe wird gerade klar, dass sie zu den ersten gehören werden, für die der Fürsorgestaat alter Prägung nichts mehr zu bieten hat, obwohl sie ihn bereits geraume Zeit mit exorbitanten Steuern und Beiträgen finanzieren. Diese Altersgruppe weiß, dass sie wesentlich mehr Eigenverantwortung wird tragen müssen als noch ihre Eltern. Sie ist daher ein Riesenpotenzial für die FDP.
  • Die FDP muss insbesondere potenzielle politische Führungskräfte intensiver bewerben. Politik braucht mehr Quereinsteiger- keine Berufspolitiker, sondern Berufstätige mit mehrjähriger Berufserfahrung. Die Durchlässigkeit zwischen politischer Tätigkeit und freier Wirtschaft muss gefördert werden.
    Vieles an Nachwuchsarbeit läuft in den Untergliederungen. Dennoch kann die Landespartei dazu beitragen, dass dieser wichtige Bereich gestärkt und insbesondere professioneller betrieben wird. Dazu gehören etwa Hilfe bei der Gestaltung ansprechender Internetseiten, Angebote für junge liberale Kommunalpolitiker oder Mentoring-Programme im Rahmen einer langfristigen Führungskräfteplanung.

Einen neuen Politikstil pflegen: Politik- und Parteienverdrossenheit bekämpfen

Das Ansehen der Politik, der Politiker und der Parteien ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Massenhafte Wahlenthaltung, sinkende Mitgliederbestände in den Parteien sowie deren Überalterung sind die Folge. Eine liberale Demokratie lebt jedoch von der aktiven Mitgestaltung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger.

Die baden-württembergische Landespolitik der letzten Monate hat nahezu alles geliefert, was viele Menschen heute an der Politik abstößt: Affären und Rücktritte, Machtspielchen und Erbfolgekriege, Vetternwirtschaft und Versorgungspatronage sowie polemische und unsachliche Plenardebatten. Gerade die baden-württembergische Landespolitik muss daher neu um das Vertrauen der Menschen werben. Wir erwarten von der FDP, dass sie in dieser Frage eine Vorreiterrolle einnimmt. Wenn ein erheblicher Teil des Volkes sich von keiner Partei mehr vertreten fühlt, muss das für die FDP eine Herausforderung sein. Die Jungen Liberalen halten es für eine zentrale Schlussfolgerung aus diesem politischen Sommer, dass sich der Stil, in dem Politik gemacht wird, ändern muss.

Ehrlichkeit bei dem, was möglich ist

Ein Teil der Verdrossenheit rührt daher, dass viele Menschen sich über den Tisch gezogen fühlen. Allzu häufig werden in Wahlkämpfen – insbesondere finanzielle – Erwartungen geweckt, die sich nachher als unerfüllbar erweisen. Die Jungen Liberalen fordern daher alle Parteien dazu auf, realistisch zu bleiben und keine teuren und damit unhaltbaren Versprechungen zu machen. Insbesondere von der Opposition erwarten wir, dass sie der Versuchung widersteht, die aktuellen Sparzwänge populistisch auszuschlachten. Auf diese Weise entstehen nur neue Enttäuschungen, die in Politikverdrossenheit münden.

Prägendes Stilelement jeder politischen Auseinadersetzung muss die Ehrlichkeit gegenüber den Wählern sein hinsichtlich der Dinge, die möglich sind. Andererseits müssen aber auch die Wählerinnen und Wähler bei teuren Vorhaben genauer nachhaken, wie sie finanziert werden sollen, und den Politikern, die nur Luftblasen produzieren, früher als bisher die rote Karte zeigen.

Sachlichere Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner

Parlamentarier haben sich oft angewöhnt, Äußerungen aus anderen Parteien gar nicht mehr vollumfänglich zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie pauschal abzulehnen. Der dringend notwendige Streit um die Sache wird zusehends überlagert von Rechthaberei und politischer Inszenierung. Wenn etwa die Opposition einen sinnvollen Antrag stellt, entwerfen die Regierungsfraktionen einen sehr ähnlichen eigenen Antrag, um diesen gleichzeitig einzubringen und zu verabschieden. Das ist nicht nur albern. Es hinterlässt bei vielen Wählern verständlicherweise das Gefühl, dass es in den Volksvertretungen nicht in erster Linie um das Wohl und Wehe des Landes, sondern ausschließlich um die Profilierung der Parteien und Politiker geht. Hinzu kommt ein zum Teil befremdliches Verhalten der Damen und Herren Landtagsabgeordneten in den Plenarsitzungen. Teils ist es aufgrund der demonstrativen Unruhe kaum mehr möglich, einen Gedankengang ungestört vorzutragen. Das sorgt bei vielen Landtagsbesuchern für Kopfschütteln. Die Jungen Liberalen rufen daher die FDP dazu auf, von dieser gängigen, oft reflexartigen Praxis Abstand zu nehmen. Die Menschen, die skeptisch gegenüber allen Parteien geworden sind, wollen von einer Partei hauptsächlich wissen, warum ihre Politik sinnvoll ist und nicht, warum die anderen schlecht sind. Die FDP hat genug an eigenen Stärken in die Waagschale zu werfen. Sie hat es nicht nötig, andere schlecht zu machen. Sie ist gut beraten, an dieser Stelle einen spürbaren Kontrast zu Politikern anderer Parteien zu setzen.

Vetternwirtschaft bekämpfen

Die Vorgänge um die ausscheidenden Minister Schäuble und Repnik haben deutlich gemacht, dass Stellen in staatlichen Unternehmen wie auch in der Landesverwaltung für Regierungsparteien sehr häufig die Versuchung mit sich bringen, dort missliebige Leute zu parken oder verdiente Parteisoldaten zu versorgen. Der Ansehensverlust, den die Politik durch diese unverhohlene Postenschacherei erleidet, ist mit Händen zu greifen. Denn die Menschen haben ein feines Gespür dafür, dass hier mit öffentlichem Vermögen sehr eigennützige Ziele verfolgt werden. Das vergrößert die Distanz zwischen der Bevölkerung und den Regierenden. Als liberale Partei steht die FDP wie sonst niemand für Chancengleichheit und das Leistungsprinzip. Die JuLis fordern, dass die FDP sich an diesem selbst gesetzten Maßstab auch messen lässt und die gängige Postenschacherei politisch bekämpft. Dies kann etwa durch folgende Instrumente erreicht werden:

  • Privatisierungen: Unternehmen in privater Trägerschaft müssen sich stärker am Markt behaupten. Sie können es sich schlicht nicht leisten, dass ihre Führungspositionen zu politisch nutzbaren Versorgungsposten degenerieren. Außerdem sind sie parteipolitischer Einflussnahme entzogen. Politik und Wirtschaft werden wirksam getrennt.
  • Ausschreibungen: Führungspositionen sowohl in der Verwaltung als auch in landeseigenen Betrieben sind, abgesehen von der politischen Führungsebene, grundsätzlich auszuschreiben. Damit ist die Chancengleichheit der Bewerber sichergestellt. Das Argument, dass in der Privatwirtschaft Ausschreibungen von Führungspositionen unüblich seien, ist verfehlt. Entscheidender Unterschied zu Unternehmen in privatem Eigentum ist, dass der Staat, auch wenn er sich in privater Rechtsform unternehmerisch betätigt, an die Grundrechte unmittelbar gebunden ist und daher allen Bürgern gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern bzw. zu anderen staatlichen Führungspositionen zu gewähren hat.

Die Menschen besser beteiligen

In einer liberalen Bürgergesellschaft muss das Volk umfassend in die politischen Prozesse eingebunden sein. Die Teilnahme an Wahlen allein ist noch nicht das, was wir uns unter politischer Beteiligung in einer Bürgergesellschaft vorstellen.

Die FDP muss die Partei werden, die für engagierte Mitstreiter und neue Ideen besonders attraktiv ist. Voraussetzung dafür ist ein schlüssiges Konzept, wie Menschen vor Ort in den Kommunen auf die FDP aufmerksam gemacht werden und zur Mitarbeit animiert werden können. Ferner benötigen die Untergliederungen massive Hilfe bei der Professionalisierung. Allzu oft erfinden Untergliederungen das Rad neu, weil sie untereinander zu schlecht vernetzt sind. Letztes Jahr hat eine Strukturkommission dem Landesvorstand Vorschläge zur Verbesserung dieser Situation gemacht, aus denen bisher keine Konsequenzen gezogen worden sind. Diese Vorschläge sind aufzugreifen und weiterzuentwickeln, um den Untergliederungen brauchbares Material und sinnvolle Hilfen bei ihrer Arbeit vor Ort bereit zu stellen.
Viele Bürger sind enttäuscht, weil sie über direkte Sachfragen nicht auch direkt abstimmen können. Die FDP muss eine Anwältin sein für mehr direkte Demokratie im Land wie in den Kommunen. In beiden Fällen müssen die Quoren für die Zulassung von Volksentscheiden deutlich gesenkt werden. Die in der Landesverfassung und der Gemeindeordnung vorgesehenen Quoren sind nahezu unerreichbar und haben eine von vornherein abschreckende Wirkung auf jede vom Volke ausgehende Initiative. Für Volksabstimmungen auf kommunaler Ebene muss dies noch in dieser Legislaturperiode geschehen, um dem Koalitionsvertrag zu entsprechen.
Es wäre es ein ausgewiesenes Zeichen politischer Kultur wie auch einer vertrauensvollen Haltung den Bürgern gegenüber, wenn in dem einen oder anderen Fall die Landtagsmehrheit von sich aus eine Frage dem Volk zur Abstimmung vorlegen würde. Das wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern zeugte von Souveränität. Es wäre für die Bevölkerung ein wichtiges Zeichen, dass sie in unserem Staat tatsächlich eine Stimme hat, die gehört wird.

Engagement des einzelnen selbstbewusst einfordern

Erhalt und Pflege unserer Demokratie sind nicht allein Sache der Parteien und Politiker, sondern jedes einzelnen Bürgers. Wenn sich viele Menschen von der Politik abwenden, zeigt dies, dass die Gesellschaft insgesamt versagt hat. Der schlechte Zustand unserer Parteien und Parlamente oder der Frust über schlechte Politik entbindet den einzelnen Bürger daher nicht von seiner eigenen Verantwortung für unser Gemeinwesen. In der Krise ist Verantwortung besonders gefragt. Die Politiker und die Parteien müssen fähig zur Selbstkritik sein und sich verändern. Aber sie dürfen und sollten daneben auch selbstbewusst genug sein, den Menschen deutlich zu sagen, dass sich ihre Mitverantwortung für unser Gemeinwesen nicht einfach an Berufspolitiker delegieren lässt, die im Zweifel dann auch den schwarzen Peter zugeschoben bekommen. So lange unsere Gesellschaft nicht insgesamt wieder politischer wird, werden auch alle notwendigen Verhaltensänderungen der Politiker und Parteien nur zu wenigen Verbesserungen führen. Wenn die FDP bei der Bekämpfung der Politik- und Parteienverdrossenheit ihre eigenen Hausaufgaben gemacht hat, darf und sollte sie auch von den Bürgerinnen und Bürgern selbstbewusst mehr Verantwortung und Einmischung einfordern.


Eine inhaltliche Offensive starten: Freiheit, nicht Zweckmäßigkeit voranstellen

Baden-Württemberg und Deutschland brauchen mehr liberale Impulse. Die Freiheit der Menschen ist in unserer Gesellschaft an vielen Stellen bedroht. Für Liberale steht die Freiheit an oberster Stelle. Die FDP muss dies dadurch deutlich machen, dass sie überall die freiheitsfördernde Wirkung einer Maßnahme betont und nicht allein ihre Zweckmäßigkeit. Um aber ihr freiheitliches Gesellschaftsbild besser vermitteln zu können, muss die FDP auch in der öffentlichen Darstellung ihrer Politik Korrekturen vornehmen. Zum einen benötigt die FDP einen neuen Stil, ihre Inhalte gegenüber den Bürgern zu kommunizieren. Die Wähler wollen eine klare Linie für die nächste Legislaturperiode. Sie haben ein Recht darauf, zu verstehen, was in den nächsten vier Jahren für Wege gegangen werden. Oft ist die Beantwortung der Frage nach dem „Warum“ wichtiger für die Menschen als eine konkrete Forderung. Wir fordern somit die FDP dazu auf, verstärkt den Fokus auf die Vermittlung der liberalen Werte und Ziele zu legen. Die einzelnen Forderungen müssen von diesem Hintergrund hergeleitet werden und auch danach gehandelt werden. Aber sie muss auch andererseits einen umfassenden Themenkatalog vertreten und zum anderen muss sie inhaltlich mutiger und vor allem konsequenter werden. Das wird ihrer öffentlichen Wahrnehmung nur gut tun.

Mehr Themenvielfalt

Die FDP führt viele Diskussionen immer noch als Standort- und nicht als Freiheitsdebatte. Dadurch wird sie allzu oft als Wirtschaftslobby wahrgenommen und nicht als Freiheitspartei. Das muss sich ändern. Wir Liberalen müssen unseren umfassenden gesellschaftspolitischen Gestaltungsanspruch verdeutlichen. Unsere Politik ist mehr als nur die Schaffung günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen. Sie zielt ab auf die umfassende Stärkung des Einzelnen in seiner persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit und seiner Verantwortung für sich selbst, wie auch für das bürgerschaftliche Gemeinwesen. Daher erwarten wir von der FDP, dass sie künftig weitere inhaltliche Standbeine aufbaut. Nur so lässt sich vermitteln, wie wir uns eine liberale Gesellschaft vorstellen. In Baden-Württemberg sollte sie die folgenden inhaltlichen Schwerpunkte setzen:

Bildung

Für Liberale gilt: Eine gute Allgemeinbildung ist die wichtigste Voraussetzung für Freiheit. Immer mehr junge Menschen durchlaufen unser Bildungssystem erfolglos. Sie verlassen die staatlichen Bildungsinstitutionen oft ohne Abschluss und ohne die notwendigen Fähigkeiten, sich in unserer Welt zurechtzufinden und eine eigene bürgerliche Existenz aufzubauen. Daher müssen wir die Bildungsdebatte offensiver führen. Wir müssen klarmachen, dass die deutsche Bildungsmisere nicht nur junge Menschen im Hinblick auf ihre spätere Berufstätigkeit beeinträchtigt, nicht nur ein Standortnachteil ist, nicht nur eine Gefahr für unseren langfristigen Wohlstand ist, sondern dass sie eine unmittelbare Freiheitsbedrohung für eine immer größere Zahl von Menschen bedeutet. Eine moderne liberale Bildungspolitik setzt auf individuelle Förderung, mehr pädagogische Flexibilität, Wettbewerb der Leistungsanbieter, Wahlfreiheit für Kinder und Eltern sowie eindeutige Leistungsanreize für Schüler wie auch für Lehrer. Dies und das dahinter stehende Menschen- und Gesellschaftsbild zu vermitteln muss eine zentrale Aufgabe werden.

Bürgerrechte

Früher wurden Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte zuallererst mit der FDP assoziiert und waren dort auch gut aufgehoben. Dann begann die schleichende Erosion der Bürgerrechte. Durch die fortlaufende Einschränkung von Grundrechten, zumeist zum Zwecke effektiverer polizeilicher Kriminalprävention oder Strafverfolgung, wurde ein bedenklicher Zustand geschaffen. Mag sein, dass die Einführung einzelner neuer Eingriffstatbestände für sich noch keine freiheitsgefährdende Wirkung gehabt hätte: Kumulativ haben sie eben diesen Effekt. Es ist die Pflicht einer liberalen Partei, diesem Wettlauf um die größte Grundrechtseinschränkung Schranken zu setzen. Doch damit nicht genug: Die FDP muss Strategien entwickeln, wie sie bei dem oft angstbesetzten Thema der Inneren Sicherheit wieder in die Offensive kommen und wie sie als Regierungspartei der gezielten Verunsicherung der Menschen bei Sicherheitsthemen begegnen kann.

Generationengerechtigkeit

Durch die verantwortungslose Haushalts- und Sozialpolitik der letzten Dekaden in Bund und Ländern wird der jungen Generation ein politisches Trümmerfeld hinterlassen. Begriffe wie „Generationenvertrag“ sind zu puren Floskeln verkommen, die das dahinter stehende Debakel nicht mehr verdecken können. Und wenn von Haushaltskonsolidierung gesprochen wird, dann steht dahinter meist eher phantasieloses Sparen als eine wirkliche Aufgabenkritik. Es ist nicht liberal, wenn eine heute aktive Generation zukünftigen Generationen finanzielle Lasten aufbürdet, die diese abzuzahlen hat. Haushaltskonsolidierung und Sozialreformen sind nicht nur notwendig, weil kein Geld mehr da ist. Aus liberaler Sicht drängender ist die Bedrohung der Freiheit künftiger Generationen, die vom gegenwärtigen Zustand ausgeht. Wir JuLis wollen, dass die FDP am konsequentesten für die Konsolidierung des Landeshaushaltes eintritt. Die Sparanstrengungen sind noch bei weitem nicht ausreichend. Die JuLis fordern den „verfassungsgemäßen“ Haushalt durch die Verankerung des Prinzips eines ausgeglichenen Haushalts in der Landesverfassung zu ersetzen. Beim Personalabbau in der Verwaltung liegt Baden-Württemberg an letzter Stelle aller Bundesländer. Da die Personalkosten den wichtigsten Anteil des Landeshaushaltes ausmachen, muss hier weit mutiger gestrichen werden. Andere Länder wie Bayern oder Hessen haben uns vorgemacht, wie wirklich energische Haushaltskonsolidierung aussieht. Es ist die Pflicht der FDP, den Gestaltungsraum der künftigen Generationen zu verteidigen, auch wenn es heute nicht überall populär ist. Daneben muss am Ziel festgehalten werden, für das kommende Jahr eine Generationenbilanz für Baden-Württemberg aufzustellen. Diese Maßnahme, die einer alten Forderung der JuLis entspricht, würde dazu beitragen, Transparenz über die Vermögensverschiebungen zwischen den Generationen in allen staatlichen Bereichen zu bekommen. Die FDP muss dafür sorgen, dass die Landtagsenquete Demografischer Wandel sich des Themas Generationengerechtigkeit annimmt und auch Vorschläge macht, wie die verschiedenen Bereiche des Staates im Hinblick auf die demografischen Veränderungen gesichert werden können.

Sozialpolitik

Der liberale Staat hat die Aufgabe, allen Menschen Lebenschancen zu verschaffen. An diesem Ziel muss er sich messen lassen. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Während jedoch im Bereich des Bundes der Sozialstaat finanziell so üppig ausgestattet ist, dass er sozialen Zielen mittlerweile sehr hinderlich ist (Arbeitslosigkeit wegen hoher Lohnnebenkosten), ist der Sozialetat im Land nicht zu hoch. Allerdings brauchen wir in Baden-Württemberg ganz andere Schwerpunktsetzungen. Insbesondere ist eine verbesserte Kinderbetreuung nötig. Diese schafft vielen jungen Paaren die Möglichkeit, den Wunsch nach Familie und Beruf zu vereinbaren. Dass Baden-Württemberg in diesem Bereich im Bundesvergleich miserabel abschneidet, kommt nicht von ungefähr. Teile der Landesregierung wollen schlicht und einfach nur die Kinderbetreuung durch die jeweiligen Mütter am heimischen Herd. Damit werden viele Menschen jedoch de facto vor die Alternative Beruf oder Familie gestellt. Wenn aber Kinderwünsche an fehlenden Betreuungsmöglichkeiten scheitern, ist das für eine Freiheitspartei nicht hinnehmbar. Die FDP muss daher in der Landesregierung dafür sorgen, dass die Mittel, die für das Landeserziehungsgeld ausgegeben werden, von nun an in die Kinderbetreuung fließen. Sie hat ferner sicherzustellen, dass im schulischen Bereich mehr Ganztagesangebote vorhanden sind, etwa indem das Geld aus dem Investitionsprogramm des Bundes zügig abgerufen wird. Es stünde einer liberalen Partei gut an, für diese Projekte zu kämpfen. Damit schafft man nicht nur Freiräume für die Lebensplanung vieler Menschen, sondern trägt auch dazu bei, dass die allzu schematischen, altmodischen sozialen Rollenbilder der Konservativen überwunden werden.

Wirtschaftspolitik

Eine liberale Wirtschaftspolitik muss weiterhin Kernbestandteil der Politik der FDP bleiben. Die Marktwirtschaft setzt die Prinzipien Freiheit und Verantwortung in die ökonomische Praxis um und schafft nebenbei den meisten Wohlstand. Probleme, die der Marktwirtschaft zugeschrieben werden, erweisen sich fast ausschließlich als Folge staatlicher Eingriffe. Die FDP muss daher für eine umfassende Deregulierung sorgen. Nach dem Vorbild der Bundestagsfraktion sollte die Landtagsfraktion regelmäßige Vorschläge zum Bürokratieabbau vorlegen. Subventionen verzerren den Wettbewerb und müssen zurückgefahren werden. Gerade auch an die Beihilfen im Agrarbereich, die das Land offen oder verdeckt gewährt, muss rangegangen werden. Außerdem besitzt das Land noch zahlreiche Wirtschaftsbetriebe, die den wirtschaftlichen Wettbewerb verzerren. Auch in der Wirtschaftspolitik des Landes gibt es also noch ein weites Tätigkeitsfeld für die FDP.

Mehr Mut und mehr Konsequenz bei den Inhalten

Die liberalen Inhalte, die wir als die richtige Politik erkannt haben, müssen auch konsequent vertreten werden. Nichts wird einer Partei vom Wähler so heimgezahlt wie Wankelmütigkeit oder Angst vor dem eigenen Programm. Beispiele für Inkonsequenz, Wankelmütigkeit oder Angst vor der eigenen Courage finden sich in den Positionen von Landespartei oder Landtagsfraktion zuhauf:

  • Auch die FDP subventioniert im Land munter mit der Zuschuss-Gießkanne rum, weil es populär ist, mag es noch so ineffizient sein.
  • Die Partei fordert die Einführung neuer Subventionstatbestände im Mehrwertsteuerrecht, etwa ermäßigte Steuersätze für Handwerkerleistungen und Medikamente, anstatt für die Abschaffung aller Subventionen im Mehrwertsteuerrecht einzutreten.
  • Die FDP traut sich an das Thema Pflichtmitgliedschaft in Industrie- und Handels- oder Handwerkskammern nicht ran, obwohl auch dort viel Bürokratie herrscht und die Beitragslast viele Betriebe drückt.
  • Sie hält gegen das Interesse Baden-Württembergs und gegen die Prinzipien unseres wettbewerblichen Föderalismusmodells grundsätzlich am Länderfinanzausgleich fest, weil es ihr zu radikal erscheint, dessen völlige Abschaffung zu fordern.
  • Die Fraktion scheut die Auseinandersetzung mit großen gesellschaftlichen Gruppierungen wie den Kirchen etwa um den Sonn- und Feiertagsschutz.
  • Partei und Fraktion befürworten die Privilegierung bzw. Benachteiligung von Beamten aufgrund ihrer religiösen Überzeugung.
  • Die FDP ist skeptisch bei der Frage der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften als gesellschaftlich wertvolle Verantwortungsgemeinschaften.
  • Bei strittigen Themen über die Verbesserung der Sicherheit auf Kosten der Freiheit hält sich die FDP häufig zurück, um dann allzu oft um des Koalitionsfriedens Willen doch zuzustimmen.

Fazit

Die FDP hat schwierige Zeiten hinter sich. Was für Zeiten sie vor sich hat, liegt hauptsächlich in ihrer Hand. Wenn sie aus dem, was in letzter Zeit nicht gestimmt hat, die richtigen Schlüsse zieht, wird sie in Zukunft weiterhin mit ihrer liberalen Politik mehrheitsfähig sein und hat sogar die Chance, ihre Position auszubauen. Wer im Ernstfall nicht konsequent zu den Prinzipien steht, die er sonst für richtig hält, der verspielt seine Glaubwürdigkeit. Wer seine eigenen Stärken beständig selbst relativiert, der sägt am eigenen Ast. Wir wollen eine FDP, die sich ihrer eigenen Prinzipien nicht länger schämt. Der Entwurf einer liberalen Gesellschaft ist so anziehend und faszinierend, dass er, konsequent gelebt und vertreten, seine Anziehungskraft haben wird.

Weitere Beschlüsse

Lies doch, was du willst! Unsere Schullektüre braucht ein Update

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern, die Methode der Auswahl von Schullektüren umfassend zu modernisieren und eine dementsprechende Anpassung des Bildungsplans. Grundsätzlich wollen wir...

Mein liebes Amt sag mir, was du willst, bevor ich da bin!

Häufig kommt es vor, dass Bürger und Bürgerinnen zum Amt gehen und dann enttäuscht wieder heim gehen, weil sie ein benötigtes...

Werden wir unabhängiger von China

Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg wollen, dass Deutschland unabhängiger von China wird. Momentan besteht allerdings insbesondere wirtschaftlich eine massive Abhängigkeit. In einer Zeit,...
Kategorien:
Filter Beschluss Organ
Mehr anzeigen