01.01.1980

Am Frieden arbeiten – Bundeswehr reformieren – Wehrstruktur und Weltsicherheitsarchitektur im 21. Jahrhundert


Frieden sichern – Sicherheitsanalyse, Anforderungen und Aufgaben der Bundeswehr im kommenden Jahrtausend

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die sicherheitspolitische Lage Deutschlands und Europas vollständig verändert. Deutschland ist nicht mehr Frontstaat wie im Ost-West-Konflikt, sondern von Freunden und Partnern umgeben. Die Gefahr eines großangelegten konventionellen Krieges, der die territoriale Integrität der Bundesrepublik bedrohen könnte, besteht nicht mehr.

Deutschland ist in ein funktionsfähiges Militärbündnis integriert, was für den Bündnisfall – sollte ein NATO-Partnerland angegriffen werden – einen Einsatz der Bundeswehr erfordert. Zu den klassischen Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung kommen Kriseneinsätze, im Rahmen von UN-Mandaten. Die Kriseneinsätze der Bundeswehr spielen im Verhältnis zu den klassischen Aufgaben eine zunehmend große Rolle. So steht die Bundeswehr vor neuen Herausforderungen, für die sie flexibel und modern strukturiert sein muss.


Struktur der Bundeswehr – Wie muß eine zukunftsfähige Bundeswehr aussehen?

Wehrpflicht – nicht mehr zeitgemäß

Hintergrund der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik war die Zusicherung an die NATO, dem Bündnis im Bedarfsfall 500 000 Soldaten zur Verfügung zu stellen, um der Bedrohung durch den Ostblock im Kalten Krieg entgegenzutreten. Die Anzahl der notwendigen Soldaten wäre anders als durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht zu erreichen gewesen. Im kollektiven Sicherheitssystem der NATO sind 2 Mio. Soldaten ausreichend, um den militärischen Anforderungen zu genügen. Gegenwärtig verfügen alle NATO-Länder zusammengenommen über 4 Mio. Soldaten. Eine Reduzierung der Anzahl der Streitkräfte ist somit vertretbar. Die Wehrpflicht ist damit zur Sicherung der Verteidigungsstärke nicht mehr notwendig und hat als Relikt des Kalten Krieges ihre Rechtfertigung verloren.

Als tiefer Eingriff in die Freiheit des jungen Bürgers ist die Wehrpflicht sowohl aus grundgesetzlicher als auch aus liberaler Sicht nur gerechtfertigt, wenn es die äußere Sicherheit des Staates nicht anders zulässt. Die veränderte sicherheitspolitische Lage rechtfertigt diesen Eingriff nicht mehr und ist daher auszusetzen. Die Jungen Liberalen fordern die Einführung einer Freiwilligen- bzw. Berufsarmee. Die Befürchtung, im Falle einer veränderten sicherheitspolitischen Lage wäre eine Wiederaufnahme der Wehrpflicht ein Signal zu verschärftem Rüstungswettlauf, ist unbegründet. Die Zeitsoldaten, welche nach ihrer Dienstzeit als unbezahlte Reservisten zur Verfügung stehen, gewährleisten die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr.

Auch das Argument, die Bevölkerung reagiere wegen der persönlichen Betroffenheit des einzelnen Bürgers auf einen Einsatz einer Wehrpflichtigenarmee sensibler als auf den einer Freiwilligenarmee, wodurch ein unnötiger Krieg verhindert werden könnte, kann entkräftet werden. Der mündige Bürger – und entsprechend sein Repräsentant im Deutschen Bundestag – wird verantwortlich mit der Entscheidung über einen militärischen Einsatz umgehen, unabhängig von persönlicher Betroffenheit. Ohnehin ist eine unfreiwillige Verpflichtung von Wehrdienstleistenden bei Auslandseinsätzen unzulässig. Eine klare, eng gefasste Definition im Grundgesetz, in welchen Fällen Bundeswehreinsätze möglich sind, z.B. zu humanitären Interventionen als Nothilfe, wäre ein geeignetes Mittel, einem Missbrauch der Streitkräfte vorzubeugen.

Ein Staat im Staate wäre nicht zu befürchten, denn auch Berufs- oder Zeitsoldaten sind Staatsbürger, die Teil unserer demokratischen Gesellschaft sind und sich in freier Berufswahl für eine militärische Laufbahn entschieden haben. Die Bundeswehr unterliegt einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle. Großbritannien hat seit jeher ein Berufsheer, in den USA ist die Wehrpflicht seit 1972 und in Frankreich seit 1997 ausgesetzt, in Italien seit 1999 abgeschafft. Die demokratische Grundordnung dieser Staaten dürfte außer Frage stehen. Deutschland verbleibt als einzige der großen westlichen Demokratien mit einer Wehrpflichtigenarmee.

Kosten der Wehrpflicht

Die Wehrpflicht ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft fehl am Platze. Zwar scheint auf den ersten Blick eine Wehrpflichtigenarmee weniger Kosten zu verursachen als eine Berufsarmee, aber die Tatsache, dass Menschen nicht entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden, führt zu hohen Reibungsverlusten. Zunächst hat der Dienstleistende die Differenz zwischen hypothetischer marktmäßiger Entlohnung und seinem Sold zu tragen, doch auch dem Staat entgehen hohe Steuereinnahmen. Diese Opportunitätskosten der Wehrpflicht sind verdeckte volkswirtschaftliche Kosten, die in keiner Bilanz auftauchen und dennoch auf zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr geschätzt werden. Durch Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee würden diese auf falschem Personaleinsatz beruhenden Reibungsverluste wegfallen. Durch die Wehrpflicht wird das Berufseinstiegsalter aller jungen Männer um ein Jahr nach hinten verschoben. Dies führt für sie zu massiven Wettbewerbsnachteilen auf dem europäischen und internationalen Arbeitsmarkt. Ungleiche Wettbewerbsvoraussetzungen ergeben sich auch aus der Wehrgerechtigkeit, die de facto nicht besteht und durch die anstehenden Kürzungen im Wehretat noch verschlechtert wird.

Effizienz der Streitkräfte

Ein zunehmend wichtiger Aufgabenbereich der Bundeswehr sind friedensschaffende und -sichernde Maßnahmen. Wehrpflichtige dürfen nicht als Krisenreaktionskräfte im Ausland eingesetzt werden und besitzen kaum die hierfür nötige Ausbildung. Professionelle Soldaten hingegen sind entsprechend ausgebildet und motiviert. Notwendig ist eine Modernisierung der Armee, denn moderne Waffensysteme und gut ausgebildetes Personal, nicht die Masse der Soldaten entscheiden heute über die Funktionsfähigkeit einer Armee. Dieser Modernisierung steht die Wehrpflicht eher im Wege, als dass sie ihr nützt.

Die moderne Bundeswehr muss entsprechend ihren neuen Aufgaben den Anteil der Krisenreaktionskräfte erhöhen. Die übrigen Armeeteile sind für die Sicherung der Landesverteidigung verantwortlich. Dabei darf es nicht zu einer Zwei-Klassen-Armee kommen, wie derzeit zwischen Krisenreaktions- und Hauptverteidigungskräften. Die Schaffung eines Generalstabes mit einer zentralen, die drei Teilstreitkräfte koordinierenden Funktion scheint unter Effizienzgesichtspunkten ebenso sinnvoll wie eine Straffung der Bundeswehrverwaltung.

Aufgaben, für die keine militärische Ausbildung erforderlich ist, können auch von Zivilisten mit entsprechender Ausbildung erledigt werden. So haben die Soldaten mehr Zeit, ihren eigentlichen Aufgaben nachzugehen. Wo dies sinnvoll erscheint, können auch Privatisierungen vorgenommen werden, um Kosten zu sparen und die Arbeitseffizienz zu erhöhen.

Die Ausrüstung und militärischen Anlagen müssen ebenso wie die Elektronik in der Verwaltung auf den neuesten Stand gebracht werden. Um die Professionalität der Bundeswehr zu erhöhen, müssen Bundeswehrlaufbahnen für qualifizierte Externe attraktiv gemacht werden. Ein Einstieg muss schon mit einem hohen Dienstgrad möglich sein, und Beförderungen müssen flexibel gehandhabt werden. Die Grundbesoldung ist auf A5-Niveau anzuheben, der Sold im Osten muss ans Westniveau angeglichen werden.

Die Bundeswehr wird auf ein Potential an Reservisten zurückgreifen können, das sich aus Zeitsoldaten zusammensetzt. Sie werden angemessen bezahlt und in einem Zeitraum von 10 Jahren zu Übungen herangezogen.

Alle Laufbahnen müssen auch Frauen offenstehen. Die bisherige Praxis widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz. Die sexuelle Orientierung ist kein Kriterium für Eignung und Beförderung. Die Diskriminierung Homosexueller in der Bundeswehr muss ein Ende haben!

Übergangslösung

Zur Finanzierung der Attraktivitätssteigerung und der Neuinvestitionen sowie der Übergangsgelder unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Sparvorgaben des Finanzministers schlagen die Jungen Liberalen Baden-Württemberg eine Übergangslösung vor. Ziel bleibt nach wie vor die Abschaffung der Wehrpflicht, jedoch kann der Verteidigungshaushalt 1999 (46,5 Mrd.) nur eingehalten werden, wenn zunächst die Wehrdienstzeit entsprechend dem Nolting-Papier zunächst auf fünf Monate gesenkt wird. Dies ergäbe eine Armee von 200 000 Berufssoldaten und 60 000 Wehrpflichtigen. Nach acht Jahren Laufzeit kann das Übergangsmodell eingestellt werden. Modernisierung und Attraktivität sind dann bei Beibehaltung des Etats gewährleistet.

Während dieser Übergangszeit muss die Situation der Wehrpflichtigen verbessert werden. Die Möglichkeit des freiwilligen Längerdienens sollte jedem geeignetem GWDL offenstehen. Beim Ausgleich des mehrgeleisteten Dienstes muss die Gleichbehandlung von GWDL und ZDL hergestellt werden. Die berufsnahe Verwendung der GWDL ist zu gewährleisten.

Die andere Seite der Wehrpflicht – der Zivildienst

Die Zivildienstleistenden sind faktisch zu einem Teil des Sozialsystems geworden. Trotz der vom Staat postulierten Arbeitsmarktneutralität werden mit den Zivildienstleistenden Personallücken geschlossen. Entfällt die Wehrpflicht, so entfällt auch der Zivildienst. Die sozialen Träger müssten ihre Arbeitskräfte auf dem regulären Arbeitsmarkt suchen. Dies wäre angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zu begrüßen. Nach einer Studie der Diakonie Baden-Württemberg könnten ca. sechs bis sieben Hauptamtliche die Arbeitsleistung von ca. zehn Zivildienstleistenden übernehmen. Für die sozialen Träger verursacht eine festangestellte Kraft ca. das dreifache an Personalkosten. Die bisherigen staatlichen Aufwendungen für die Zivildienstleistenden müssten in Form von Zuschüssen den sozialen Einrichtungen zukommen, ebenso wie ein Teil der zu errechnenden Opportunitätskosten des Zivildienstes. Darüber hinaus können durch die Abschaffung des Zivildienstes Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor geschaffen werden, die durch das Bürgergeld zu auskömmlichen Einkommen aufgestockt werden können.

Eine sinnvolle Ergänzung bildet ein Freiwilliges Gesellschaftliches Jahr, ein umfassendes Angebot freiwilliger Dienste, z.B. ein Freiwilliges Soziales, Ökologisches, Technisches oder Kulturelles Jahr. Freiwillige Dienste sind in einer liberalen Demokratie, in der die Bürger Verantwortung füreinander übernehmen, die besseren Alternativen zu Zwangsdiensten. Da die Einrichtungen um ihre freiwilligen Kräfte werben müssen, werden die angebotenen Stellen sicherlich an Attraktivität gewinnen. Mittel, dies zu erreichen, sind u.a.:

  • Halbjährige Angebote und Teilzeitangebote, die eine Koppelung an Studium und Beruf zulassen
  • Koppelung des Gesellschaftlichen Jahres an eine Ausbildung
  • Möglichkeit einer Teilabschlussqualifikation bzw. Zertifikats
  • Ein Bonuspunktesystem, in dem das Freiwillige Jahr auf die Ausbildungs- oder Studienzeit sowie auf die Altersrente angerechnet wird (Solange es die ZVS und das bisherige Rentensystem noch gibt)
  • Eine angemessene Bezahlung, die z.B. der Eingangsstufe der Ausbildungsvergütung entspricht

Es steht zu erwarten, dass in einem Klima der Freiwilligkeit die freiwillige Leistung auch gesellschaftliche Anerkennung findet. Entsprechend hoch dürfte auch das Interesse an einem Freiwilligen Jahr sein: Die Diakonie geht davon aus, dass man mit einem attraktiven Freiwilligendienst bundesweit mindestens 60 000 junge Frauen und Männer gewinnen könnte. Ein freiwilliger Dienst kann nicht zuletzt auch bei der Bundeswehr geleistet werden. Deshalb gelten die für das Freiwillige Gesellschaftliche Jahr genannten Bedingungen zur Attraktivitätssteigerung ebenso für einen freiwilligen Armeedienst. Eine besser ausgestattete Armee, die technisch auf dem neuesten Stand ist, dürfte für viele junge Menschen mit unterschiedlichsten Interessen etwas bieten. Wichtig ist eine heimatnahe Verwendung auf Wunsch, flexiblere Dienstzeiten, eine Bundeswehrverwaltung, die sich als Dienstleister versteht, gute Weiterbildungsmöglichkeiten, eine verbesserte politische Bildung und eine angemessene Entlohnung. Der Eingangstest muss abgeschafft werden: Wer sich freiwillig einbringen will, dem muss dies auch gestattet sein.


Visionen für eine europäische Verteidigungspolitik und eine neue Weltsicherheitsarchitektur

Unabhängig von den tagespolitischen Sicherheitserfordernissen treten die Jungen Liberalen dafür ein, dass Sicherheits- und Verteidigungspolitik immer weniger nationale und immer mehr europäische Kompetenzen werden. Dem Hohen Repräsentant der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sollten deshalb schrittweise mehr Kompetenzen übertragen werden, z.B. größere Verhandlungsspielräume. In der GASP muss das Mehrheitsprinzip eingeführt werden.

Die Westeuropäische Union WEU ist dabei Keimzelle einer zukünftigen Verteidigungsstruktur, in die die nationalen Armeen immer mehr integriert werden müssen. Die WEU bleibt in die NATO eingebunden und muss zugleich in vielen Fragen selbständig Entscheidungen treffen können. Europa muss seine Sicherheitsinteressen als gleichberechtigter Partner in der NATO wahrnehmen und darf sich nicht als Verteidiger einzelner sicherheitspolitischer Interessen missbrauchen lassen.

Die Vereinten Nationen müssen zu einem System kollektiver Sicherheit besser ausgebaut werden. Die UNO braucht hier eine systematische Zuteilung regionaler Sicherheitssysteme, die die Stabilität vor Ort nach subsidiärem System organisiert. Vor allem die Frage regionaler, nationaler Minderheiten muss endlich beantwortet werden. Es muss klar sein, wie ein Staat mit Minderheiten umgehen muss (eigene Sprache, keine Diskriminierung, …).

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