25.03.2012

Feldwege zum Glück – liberale Politik für den Ländlichen Raum in Baden-Württemberg

Etwa 70% der Fläche Baden-Württembergs gehört zum Ländlichen Raum. Diese Regionen besitzen meist eine diversifizierte, historisch gewachsene Wirtschaftsstruktur, die die Wirtschaftskraft Baden-Württembergs auf vielfältige Weise trägt. Gleichzeitig rangieren ländliche Regionen in vielen Statistiken z.B. bei der Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, der Höhe der Bildungsabschlüsse oder der Ausprägung des Dienstleistungssektors auf hinteren Rängen.

Nach Jahren der Stagnation und Landflucht werden seit einigen Jahren sich fortwährend verstärkende Trends zur Reurbanisierung sichtbar. Abwanderung aus dem Ländlichen Raum betreffen vor allem junge, gut qualifizierte Erwerbstätige und Familien. Der demographische Wandel ist bereits heute im ländlichen Raum vielfältig stärker spürbar als in städtischen Zentren.

Die Politik muss gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen, die die Erfüllung ihrer Kernaufgaben beeinflussen. Deshalb sind die Herausforderungen des Ländlichen Raums heute ein eigenes Politikfeld. Wir Junge Liberale erachten die kommunale Autonomie als Verkörperung des Subsidiaritätsprinzips als schützenswertes Gut. Gemeinden und Kreisen müssen die Möglichkeit haben ihre Entwicklung eigenverantwortlich zu gestalten. Deshalb ist die Kommunalautonomie oberste Grundlage für die Gestaltung der Politik im Ländlichen Raum.


Liberale Politik für den Ländlichen Raum

Das Prinzip der freien Wohnortwahl ist ein Grundrecht, das nicht eingeschränkt werden darf. Menschen ziehen dorthin, wo sie für sich die besten Bedingungen in Form von funktionierenden Strukturen wie beispielsweise Arbeitsmarkt, Wohnqualität und soziales Umfeld vorfinden. Dies bedeutet für uns, dass Wanderungstendenzen staatlicherseits prinzipiell weder befördert noch bekämpft werden dürfen. In Baden-Württemberg kann auch im ländlichen Raum jeder ein Leben in Freiheit und Wohlstand führen – gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten nicht identische Lebensverhältnisse. Natürlich Standortnachteile wie z.B. größere Entfernungen dürfen deshalb nicht staatlicherseits ausgeglichen werden, die Pendlerpauschale muss deshalb abgeschafft werden. Politisches Handeln ist jedoch dort notwendig, wo die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss auf die Erfüllung staatlicher Kernaufgaben hat.

Viele der besonderen Herausforderungen des Ländlichen Raums lassen sich durch verstärkte Kooperation staatlicher Strukturen am besten begegnen. Interkommunale Zusammenarbeit muss deshalb zum Regelfall werden, politische Strukturen wie Gemeindegrenzen dürfen kein romantisch idealisierter Selbstzweck sein.


Erfüllung staatlicher Kernaufgaben

Bildung

Der demographische Wandel mit den einhergehenden, sinkenden Schülerzahlen stellt besonders im Ländlichen Raum viele Schulen vor die Existenzfrage. Gesamtschulen können zwar im ländlichen Raum eine sein, jedoch liefert die von SPD und Grünen mittelfristig geplante, flächendeckende Gemeinschaftsschule keine Lösung für dieses Problem. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg plädieren vielmehr für wohnortnahe Schulstandortlösungen, die vor Ort entwickelt werden und nicht von starren Strukturen und Ideologien behindert werden. In erster Linie können Probleme vor Ort von den betroffenen Schulen selbst gemeinsam mit den Kommunen gelöst werden, hierfür benötigen diese jedoch größtmögliche Freiheit bei der Gestaltung des Schulstandorts, der Schulart und der Unterrichtsgestaltung. Wir befürworten gemeindeübergreifende Lösungen, um Synergien zu nutzen. Hierfür dürfen auch längere Schulwege kein Tabu sein. Mit der Entwicklung von ganztägigen Betreuungs- und Lernkonzepten und einer Verschiebung des in Deutschland vergleichsweise frühen Schulstarts können Schulen auf diese Entwicklung angemessen reagieren. Das Konzept „Kurze Beine verlangen kurze Wege“, nach dem der Schulweg vor allem für Grundschüler besonders kurz sein muss, wird aktuell parteiübergreifend weitgehend kritiklos aufgenommen. Auch für Grundschüler ist jedoch z.B. eine Busfahrt zur Schule zumutbar, wenn sichere Transportwege z.B. mit eigenen Schulbussen angeboten werden. Der Schulbesuch dient nicht nur der reinen Vermittlung von Wissen. Er schult auch die soziale Kompetenz von Kindern und sorgt für eine optimale Entwicklung der Fähigkeiten. Der Staat hat eine ergänzende Erziehungspflicht dort, wo elterliche Fürsorge im Einzelfall versagt oder strukturell nicht geleistet werden kann. Das Aufwachsen im Kontakt mit der Gesellschaft ist entscheidend für die Persönlichkeitsbildung eines Kindes und darf Ihm deshalb nicht von den Eltern vorenthalten werden. Eine Ersetzung der Schulpflicht durch eine Bildungspflicht lehnen wir deshalb ab.

Medizinische Grundversorgung

Immer mehr Gemeinden in Baden-Württemberg leiden unter einer chronischen medizinischen Unterversorgung. Aufgabe des Staates ist es unserer Meinung nach, eine medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Daher befürworten wir den verstärkten Einsatz von Prämienmodellen bei der Übernahme von Landarztpraxen, wie Sie bereits von einigen Gemeinden erfolgreich praktiziert werden. Ebenso streben wir eine möglichst breite Krankenhausversorgung an. Die Notfallversorgung muss für alle Bürger, auch im Ländlichen Raum, gewährleistet werden. Das gegenwärtige System der Krankenhausfinanzierung benachteiligt kleinere Krankenhäuser der Grundversorgung und erzwingt einen Trend zu großen Krankenhäusern mit einem sehr weiträumigen Einzugsgebiet. Die dadurch entstehenden weiten Anfahrtswege wirken sich zum Nachteil des ländlichen Raumes aus. Eine solche einseitige Förderpolitik muss revidiert werden. Durch die Einrichtung von Krankenhausverbünden können kleinere, oft defizitäre Krankenhäuser z.B. durch die Zusammenlegung von Verwaltungsstrukturen Synergieeffekten erzielen und so weiter wirtschaftlich betrieben werden. Diese Kooperationen müssen sich nicht an Kreis- oder Landesgrenzen orientieren, neben wirtschaftlichen Erwägungen können auch natürlich gewachsene, kreisübergreifende Raumschaften eine Grundlage für einen Krankenhausverbund darstellen. Insgesamt muss aber auch ein Krankenhausverbund betriebswirtschaftlich erfolgreich wirtschaften. Allerdings ist es Aufgabe der Politik für eine angemessene Krankenhausfinanzierung zu sorgen, damit Krankenhäuser auch im ländlichen Raum eine Chance haben.

Verwaltung

Viele politische Projekte z.B. im Nahverkehr, der Müllentsorgung oder der Raumplanung, machen an Kreisgrenzen nicht Halt. In der institutionalisierten Kooperation von Gebietskörperschaften sehen wir deshalb einerseits eine zur Erfüllung politischer Kernaufgaben notwendige Reform, langfristig sehen wir in selbstverwalteten Regionalverbänden eine sinnvolle Alternative zu den abzuschaffenden Regierungspräsidien. Grundsätzlich begrüßen wir eine Verschlankung der Polizeiverwaltung, die durch einer Reduktion der Polizeipräsidien zu Synergien führen und zusätzliche Finanzierungsmittel für mehr Polizeibeamte vor Ort freisetzen. Im Detail der von der grün-roten Landesregierung vorgelegten Polizeirefom besteht jedoch Verbesserungsbedarf. So wird die aktuell geforderte Mindestgröße von 1500 Polizeibeamten pro Polizeipräsidien den gewachsenen Bindungen zwischen den Landkreisen nicht gerecht und beeinträchtigt beispielsweise im Bereich der Kriminalpolizei die eine effiziente Aufklärung von Straftaten.


Strukturpolitik

Strukturpolitik ist Umweltpolitik

Strukturpolitik als Raumordnungspolitik kann vor allem im ländlichen Raum Anreize zur Reduktion von Flächenverbrauch setzen. Der ständige Wettstreit von Kommunen um Gewerbesteuer und Einwohnerprämien sorgt aktuell vielerorts für die exzessive Ausweisung neuer Gewerbeflächen, deren Besiedlung wiederum mit Subventionen der Gemeinden (z.B. über direkte Hilfen oder der günstigen Abgabe von Bauland) gefördert wird. Für uns Junge Liberale ist der Schutz der kommunalen Planungshoheit wichtig. Dennoch fordern wir die Kommunen auf, Kirchturmdenken in der Gewerbeansiedlung zu überwinden. Sinnvolle Raumordnungspolitik verringert verkehrliche Bedürfnisse, erhält intakte Ökosysteme und ist damit originärer Startpunkt für wirksamen Umweltschutz. Innenversiegelung muss daher auch in kleinen Gemeinden Vorrang vor Wachstum in der Fläche genießen. Für Gemeinden muss es hierbei verschiedene Instrumente geben, mit denen sie Anreize für Unternehmen und Bürger setzen können, bei Bauprojekten der Innenversiegelung Vorrang zu gewähren. Dies kann beispielsweise über eine verringerte Gewerbe- und Grundsteuer im Innenstadtbereich geschehen. Auch eine Flexibilisierung des Denkmalschutzes darf hierfür kein Tabu sein. Schlecht instandgehaltene Fachwerkbauten müssen verändert oder entfernt werden können, wenn sich hierdurch überwiegende Vorteile für die Kommune bieten. Um den Gemeinden Anreize zu interkommunaler Zusammenarbeit zu bieten, wollen wir zudem im Kommunalrecht Kooperationsmöglichkeiten verankern, die z.B. die gemeinsame Ausweisung eines Gewerbegebiets attraktiv machen. Mittelfristig fordern wir die Einrichtung eines landesweites Flächenverbrauchskonzepts, das insbesondere auch den aufgrund demographischer Veränderungen und Reurbanisierung notwendig gewordenen Rückbau und umfassende Renaturierung beinhaltet.

Ausgleich für Strukturschwäche

Die Aufgaben des Staates unterscheiden sich im ländlichen Raum nicht von denjenigen in urbanen Zentren. Vielfach erfordert jedoch die Bereitstellung eines gleichwertigen Leistungsniveaus im ländlichen Raum in Relation zur Einwohnerzahl höhere Investitionen, z.B. im Verkehrsbereich oder beim Breitbandausbau. Diese Investitionen müssen sich jedoch immer am Bedarf orientieren, nicht an der Existenz von besonderen Förderprogrammen. Diese verschleiern vielfach Investitionen und erschweren die Bewertung von Notwendigkeit und Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Investitionsmöglichkeiten. Baden-Württemberg ist kein Entwicklungsland: Bestehende Förderprogramme sollen deshalb in einheitliche politische Rahmenbedingungen für regional differenzierte Strukturförderung und –erhaltung überführt werden, z.B. in einen reformierten Verkehrsentwicklungsplan.

Insbesondere auf EU-Ebene fließen Fördermittel heute ungenau, intransparent und gießkannenartig. Die Europäische Kohäsionspolitik hat auch in der Herstellung europaweit gleichwertiger Lebensverhältnisse einen legitimen Zweck, der auch Wettbewerbsverzerrungen rechtfertigt. Dieser Zweck wird jedoch konterkariert, wenn auch wohlhabende Regionen von Fördermitteln partizipieren wollen. Das Perpetuum Mobile an intransparenter Mega-Subvention muss ein schnelles Ende finden, deshalb dürfen Fördermittel nur noch in diejenigen Regionen fließen, die am Ende des Wohlstandsgefälles in Europa liegen. Die Kriterien für Mittelvergaben müssen hierfür deutlich restriktiver formuliert, gewährte Mittel übersichtlich aufbereitet und begründet veröffentlicht werden.

Für alle Subventionsarten gilt, dass staatliche Direktsubventionen an Unternehmen kein Mittel zum Erhalt einer nicht konkurrenzfähigen Wirtschaftsstruktur sein dürfen. Erhaltungssubventionen, auch für ganze Branchen oder Regionen, konservieren unzureichende Geschäftsmodelle und können keine strukturellen Defiziten beseitigen. Die Jungen Liberalen lehnen deshalb selbige aus diesem Grund, sowohl im europäischen Förderrahmen als auch bei der Vergabe von Bundes- und Landesmitteln, ab. Lediglich die zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung eines konkreten Projekts kann förderungswürdig sein, diese muss jedoch in jedem Einzelfall an hohe Hürden geknüpft werde.

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