22.10.2000

Gegen die Planwirtschaft im Gesundheitswesen!

Die „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ ist für deutsche Gesundheitsminister schon fast zum geflügelten Wort geworden, wenn steigende Krankenversicherungsbeiträge oder Leistungskürzungen gerechtfertigt werden sollen. So wurden in den letzten Jahren unendlich viele Lenkungsmaßnahmen durchgeführt, die schlußendlich zu einem planwirtschaftlich organisierten Flickenteppich an Regelungen führten, dem es vor allem an klaren Positionen und nachhaltigen Konzepten mangelt. Wechselseitig machen sich die unterschiedlichen am Gesundheitswesen beteiligten Interessengruppen für die steigenden Kosten verantwortlich; und die Regierung kürzt mal hier mal da und versucht den Widerstand der einzelnen Gruppen dadurch unter Kontrolle zu halten, indem sie alle Beteiligten gegeneinander ausspielt. Dies kann nicht die Politik der kommenden Jahre sein. Soll im deutschen Gesundheitswesen Ruhe einkehren, so muß zuallererst klargestellt werden, daß es sich bei der Kostenexplosion in Wirklichkeit um eine Leistungsexplosion, begünstigt durch medizinischen Fortschritt und steigendes Durchschnittsalter der Bundesbürger handelt. Erst wenn die wahren Kosten des augenblicklichen und zukünftigen Gesundheitswesens berechnet sind, kann eine langfristige, verläßliche Planung einsetzen. Folgende Forderungen stellen die Jungen Liberalen an die künftige Gesundheitspolitik:


Budgetierung abschaffen!

Medikamentenbudgets:

Jedes Jahr wird ein Budget festgelegt, aus dem die Arzneimittel für alle Kassenpatienten bezahlt werden müssen. Werden nun mehr Menschen krank, oder kommen neue, teure Medikamente auf den Markt, wird das Budget überschritten. In diesem Fall haftet die Ärzteschaft kollektiv für die entstandenen Mehrkosten, obwohl sie im Laufe des Jahres gar keine sicheren Informationen über die momentane Finanzlage hat. Vergangenes Jahr wurde das Budget um knapp 800 Millionen Mark überzogen, dieses Jahr wird ein Überschreiten um mehr als 1 Milliarde erwartet! Die Jungen Liberalen fordern die Medikamentenbudgets abzuschaffen, da Krankheit nicht staatlich steuerbar ist. Ebenso führt dieses System letztlich zur Unterversorgung der Bevölkerung und zur Zweiklassenmedizin. Außerdem behindert diese Reglementierung die Einführung neuer wirksamer, eventuell teurer Medikamente. Es ist den Ärzten nicht zuzumuten, ihren Patienten die nötigen Medikamente vorzuenthalten, oder sollten sie dies verweigern, die Kosten selbst zu tragen.

Budgetierung der ärztlichen Leistungen/ Punktesystem:

Die ärztlichen Honorare sind gedeckelt, das heißt, werden von einem Teil der Ärzteschaft mehr Leistungen als vorgesehen erbracht, oder werden neue Diagnostik- oder Therapiemöglichkeiten entwickelt, sinkt der Punktwert,die Ärzte bekommen für die einzelne Leistung weniger Geld. Jeder Arzt ist also für das Honorar seines Kollegen mitverantwortlich und kann diesen finanziell schädigen. Die Jungen Liberalen fordern die Budgetierung ärztlicher Leistungen aufzuheben. Sie begrenzt zwar die Kosten, senkt aber auf Dauer die Qualität der ärztlichen Versorgung. Sie deckt die aus dem Bedarf der Kranken entstehenden Kosten nicht und zwingt die Ärzte, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, weniger Leistungen zu erbringen. Außerdem ist das Punktesystem abzulehnen, da auch hier jeder Arzt kollektiv für das Verhalten seiner Kollegen haftet.


Kostenerstattungsprinzip einführen!

Geht ein Kassenpatient heute zum Arzt, so bekommt dieser von der Krankenkasse die entsprechende Fallpauschale bezahlt. Der Patient erfährt nicht, was die Krankenkasse an Leistungen für ihn übernommen hat, bzw. was der Arzt für die jeweilige Leistung berechnet hat. Die Jungen Liberalen fordern den Übergang vom anonymen Sachleistungs- zum transparenteren Kostenerstattungsprinzip! Dies soll den Versicherten deutlich machen, daß Gesundheit ihren Preis hat und sie zum maßvollen Gebrauch der Leistungen im Gesundheitswesen animieren.


Weg mit den starren Fallpauschalen!

Heute bekommt ein Arzt zumeist nicht einzelne Leistungen bezahlt, sondern ganze Pakete. Das heißt, er bekommt, egal wie aufwendig die Untersuchung oder Therapie beim jeweiligen Patienten ist, dasselbe Honorar. Die Jungen Liberalen fordern eine Flexibilisierung der Fallpauschalen! Diese sind zwar in vielen Fällen günstig, da sie den Leistungserbringer dazu animieren, wirtschaftlich zu arbeiten, jedoch werden hier auch teilweise Untersuchungen bezahlt, die in der individuellen Situation nicht notwendig wären. Weiterhin besteht die Gefahr, daß schwer- und chronisch Kranke auf der Strecke bleiben und nicht mehr, oder nur noch mangelhaft versorgt werden, da sich das Arzthonorar nicht am individuellen Aufwand orientiert.


Freie Arztwahl erhalten!

Momentan darf jeder Patient zumindest im ambulanten Bereich selbst entscheiden, von welchem Arzt er behandelt werden will. Die Jungen Liberalen fordern, das Recht auf freie Arztwahl auch für Kassenpatienten auf Dauer zu erhalten. Die im Falle einer Auflösung der Kassenärztlichen Vereinigungen möglichen Behandlungsverträge zwischen einzelnen Ärzten und Krankenkassen, würden dazu führen, daß Patienten statt zum Arzt ihres Vertrauens zum Vertragsarzt gehen müßten. Dies wäre im Sinne der Behandlungskontinuität ineffizient und angesichts des nötigen Vertrauensverhältnisses zwischen Ärzten und Patienten beiden Gruppen nicht zuzumuten.


Direkten Zugang zu Fachärzten erhalten!

Die Jungen Liberalen fordern den direkten Zugang zu Fachärzten auch für Kassenpatienten zu erhalten; eine alleinige Zuweisung über die Hausärzte ist abzulehnen! Der Hausarzt erfüllt zwar eine wertvolle Steuerungsaufgabe, indem er Patienten zum geeigneten Facharzt überweist, jedoch muß die Entscheidung, welchen Arzt er aufsuchen will, letztlich beim Patienten liegen. Die Aufgabe des Hausarztes ist hier in der Vermittlung der Informationen zu sehen, die dem Patienten eigenverantwortliches, mündiges Handeln ermöglicht.


Arzttourismus eindämmen!

Die Deutschen gehen dreimal häufiger zum Arzt als z.B. die Schweden. Die Jungen Liberalen fordern die Anzahl der Arztbesuche nicht von staatlicher Seite zu reglementieren, da sich keine Regierung anmaßen kann über die Notwendigkeit eines solchen Besuchs zu entscheiden. Vielmehr sollten z.B. die Krankenkassen ihre Mitglieder durch ein Bonussystem für nicht in Anspruch genommene Leistungen belohnen und zu kostenbewußtem Handeln animieren.


Qualitätssicherung:

Nachweis von Fortbildungen!

Viele Ärzte verharren nach ihrer Universitätsausbildung auf diesem Kenntnisstand. Häufig sind sie über moderne Diagnose und Therapiemethoden nicht informiert. Die Jungen Liberalen fordern, daß jeder Arzt jährlich eine gewisse Anzahl von Fortbildungen nachweisen muß! Nur so kann die Qualität der Versorgung gewährleistet und eine moderne Medizin für jedermann ermöglicht werden.

Fachpersonal nachweisen!

Durch die finanziell angespannte Lage im Gesundheitssystem werden vielfach ungelernte, schlecht ausgebildete Kräfte eingesetzt. Vielfach ist schon durch die Personalstruktur eines Hauses zu erkennen, daß Qualitätsmaßstäbe unterlaufen werden. Die Jungen Liberalen fordern dieser Praxis durch Behandlungsrichtlinien Einhalt zu bieten. Nur so kann verhindert werden, daß der finanzielle Druck im Gesundheitswesen zu Lasten der Versorgungsqualität geht. Im übrigen besteht hier die Gefahr, daß vermehrt gut ausgebildete, teure Arbeitskräfte entlassen werden.

Arbeitszeitgesetz umsetzen!

Das Arbeitszeitgesetz wird von vielen Kliniken weiterhin ignoriert. Angesichts den anfallenden Arbeiten und dem vorhandenen Personal wären grobe Verstöße hier leicht nachzuweisen. Die Jungen Liberalen fordern diese Verstöße schonungslos zu ahnden, denn übermüdetes Personal bedeutet zum Beispiel bei Operationen und anderen extrem verantwortungsvollen Tätigkeiten ein unnötig hohes, unkalkulierbares Risiko.


Finanzierung:

Ehrliche Berechnung aller anfallenden Kosten!

Die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre hat stets versucht, Kostenersparnis zu erreichen, indem sie Beschränkungen und Verbote erlassen und Budgets eingeführt hat. Die Verantwortlichen im Gesundheitswesen haben sich an diese Regelungen stets angepaßt und durch Mehrleistung in noch nicht so stark reglementierten Bereichen für eine teilweise Gegenfinanzierung gesorgt. Die sogenannten Lenkungseffekte sind nicht oder nur kurzfristig eingetreten. Eine solche Politik geht am Interesse vor allem der Kranken vorbei. Die Jungen Liberalen fordern eine ehrliche Berechnung aller Kosten im Gesundheitswesen, denn nur so kann abgeschätzt werden was in Zukunft wie finanziert werden kann. Hierzu fordern wir die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen und setzen uns stattdessen für die Unterstützung ärztlicher Netzwerke ein.

Kernleistungskatalog festlegen!

Was eine Krankenkasse bezahlt und was nicht, ist heute zum Teil sehr willkürlich festgelegt. So kann eine nachhaltige Kostenersparnis in Zukunft nicht erreicht werden! Die Jungen Liberalen fordern daher, einen Katalog zu schaffen, dessen Leistungen jedem Versicherten auch langfristig garantiert sind. Dieser Katalog sollte von Vertretern aller beteiligten Parteien ( Beitragszahler, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Krankenkassen) ausgearbeitet werden und auf allen Seiten eine möglichst hohe Akzeptanz erreichen. Nur durch die Beschränkung auf gesundheitlich absolut Notwendiges kann eine langfristige, verläßliche Absicherung der Bevölkerung geschaffen werden.


Flexibles zweistufiges Krankenversicherungssystem für bisher gesetzlich Krankenversicherte einführen

Um auch weiterhin eine angemessene Versorgung der gesetzlich Versicherten zu gewährleisten, ist das heutige, starre System gesetzlicher und privater Krankenversicherungen zu lockern. Ein vermehrter Wettbewerb der verschiedenen Krankenversicherer ist anzustreben. Die Jungen Liberalen fordern deshalb die Einführung eines flexiblen zweistufigen Krankenversicherungssystems. Die erste Stufe dieses Modells umfaßt den Kernleistungskatalog, der die Grundversorgung abdeckt und den Versicherten vor den gr0ßen Gesundheitsrisiken schützt. Durch diese Stufe werden z.B. die Diagnose und Therapie schwerwiegender Erkrankungen, eine Grundversorgung bei zahnärztlicher Behandlung, sowie erfolgversprechende Rehabilitationsmaßnahmen abgedeckt. Der Beitragssatz zu dieser Stufe soll deutlich unter dem heute üblichen Satz der gesetzlichen Krankenversicherungen liegen. Es besteht Versicherungspflicht, am Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung soll festgehalten werden. Das Solidaritätsprinzip soll vorerst erhalten bleiben. Erst wenn eine grundlegende Steuerreform im Sinne der Liberalen durchgeführt ist, sollte über Krankenversicherungsbeiträge nach dem Äquivalenzprinzip, kombiniert mit durch Steuern finanzierte Hilfen für sozial Schwache, nachgedacht werden. Die zweite Stufe ist freiwillig, die Versicherungsnehmer können hier eigenverantwortlich zwischen verschiedenen Produktpaletten und Versorgungskonzepten wählen. Dankbar sind flexible Pakete, die Leistungen wie z.B. besondere bei zahnärztlicher Behandlung, zusätzliche Leistungen bei Krankenhausaufenthalten (Unterbringung, Chefarztbehandlung usw.) sowie Kuren und Kostenerstattung bei Inanspruchnahme alternativer Heilmethoden enthalten können. Diese Pakete können auch verschiedene Möglichkeiten der Kostenerstattung wie z. B. Eigenbeteiligungen, Bonussysteme und Rückerstattungen beinhalten. Durch die auf der zweiten Stufe geschaffene Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Versicherungsmodellen wird der Wettbewerb der Kassen untereinander gefördert, was sich letztlich positiv auf die Kosten für die Versicherten auswirken wird. Durch die langfristige Garantie der im Grundleistungskatalog definierten Leistungen auf der ersten Stufe wird die Gefahr der Unterversicherung vermieden; Durch die flexible zweite Stufe kann jeder Bürger ein, weinem Lebenskonzept angepassten Leistungskatalog zusammenstellen.


Kontrahierungszwang erhalten!

Die Jungen Liberalen fordern den Kontrahierungszwang, das heißt die Pflicht der Krankenkassen zur Annahme jedes Versicherten, zu erhalten! Menschen mit hohen gesundheitlichen Risiken aufgrund von Vorerkrankungen dürfen nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden. Nachteile, die Krankenkassen bei der Übernahme solcher Risikopatienten erwachsen, sollen wie bisher durch einen Risikostrukturausgleich aufgefangen werden.


Netzwerke/Informationsaustausch fördern!

Vor allem beim Zusammenspiel zwischen ambulantem und stationärem Sektor werden viele Untersuchungen unnötigerweise wiederholt. Dies beruht oft auf einem fehlenden Informationsaustausch zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern. Die Jungen Liberalen fordern Netzwerke zu schaffen, die z.B. einen Zugriff auf bereits durchgeführte Untersuchungen ermöglichen und so Kosten sparen helfen. Der Zugriff auf die gespeicherten Daten soll jedoch aus Datenschutzgründen nur mit Einverständnis des Patienten und durch den behandelnden Arzt möglich sein.


Prävention/ Information fördern!

Die Jungen Liberalen setzen sich für eine Förderung präventiver Maßnahmen im Gesundheitswesen ein. Zielgerichtete Prävention soll vor allem bei den großen Volkskrankheiten helfen, Erkrankungen zu vermeiden. Eine verbesserte Information der Patienten kann helfen ihre Motivation zu steigern und die Mitarbeit für die eingesetzte Therapie zu verbessern. Prävention und Information sind also, neben ihrem eigentlichen Wert auch Investitionen in die Kostenersparnis kommender Jahre.


Ambulante Eingriffe fördern!

Heutzutage werden übertrieben viele Eingriffe stationär durchgeführt. Zu ambulanten Operationen besteht weder für Krankenhäuser, noch für niedergelassene Ärzte ein Anreiz, denn die Operationshonorare sind extrem niedrig und die Krankenhäuser finanzieren ihre Leistungen über die Liegezeiten der Patienten. Die Jungen Liberalen fordern ambulante Eingriffe in geeigneten Fällen stationären vorzuziehen. Um dies zu begünstigen, wäre es sinnvoll, ambulante Operationen und die Betreuung frisch operierter Patienten durch den niedergelassenen Arzt besser zu honorieren. Grundsätzlich sollte ein Konsens darüber erzielt werden, in welchen Fällen ambulante Eingriffe sinnvoll sind und stationäre ersetzen können. Dies wäre eine Möglichkeit Kosten zu sparen, ohne die Versorgungsqualität zu gefährden. Weiterhin sollten verstärkt Anreize gegeben werden überschüssige Klinikbetten abzubauen, da unbelegte Betten vom entsprechenden Kostenträger bezahlt werden müssen und so eine große Budgetbelastung darstellen.


Liegezeiten begrenzen!

Lange Liegezeiten in Krankenhäusern sollten nach Meinung der Jungen Liberalen vermieden werden. Helfen könnte hier eventuell ein Betreuungsangebot, das nach Hause entlassene Patienten ambulant versorgt und in enger Zusammenarbeit mit der Klinik einen Teil der Nachsorge übernimmt. Solche Konzepte, sowie Kurzpflegeeinrichtungen könnten die Kosten einsparen, die heute entstehen, weil Patienten, die ein Versorgungsproblem darstellen, häufig für längere Zeit stationär aufgenommen werden müssen. Außerdem sollten Empfehlungen zur stationären Behandlungsdauer für einzelne Krankheiten erarbeitet werden, deren Überschreitung im jeweiligen Fall begründet werden müßte.

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