04.03.1997

Solidaritätsprinzip wahren – Krankenversicherung reformieren


Einleitung

Die Jungen Liberalen fordern den Umbau der Sozialversicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei sehen sie die Lösung der Probleme nicht allein im Abbau sozialstaatlicher Politik. Sozialstaatliche Politik ist gefordert zu präzisieren, welches ihre Ziele sind und wo Anpassungen akzeptabel sind. Bislang haben die herkömmlichen Werte und Normen dazu gedient, den Ausbau sozialer Leistung zu begründen. In der heutigen Situation werden dagegen Kriterien für Notwendigkeit sozialer Leistungen und Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen benötigt. Entsprechende Normen gilt es in einem gesellschaftlichen Konsens zu entwickeln. Eine der Säulen der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist das Bestehen eines funktionierenden Krankenversicherungsschutzes im Bedarfsfall, unabhängig von Einkommen und Herkunft. Dieses System in seinen grundlegenden Zügen zu bewahren, unter Annahme der Herausforderungen der heutigen Zeit, muß Aufgabe liberaler Politik sein.


Lageerfassung

Im Gesundheitswesen ist ein kontinuierlicher Anstieg der Ausgaben zu erkennen. Die Ursachen für diese regelrechte Ausgabenexplosion ist zum einen in der realen Expansion des Gesundheitssektors zu sehen, zum anderen aufgrund des wachsenden Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Letzteres wird gerade in den nächsten Jahrzehnten zu einem enormen Druck auf die Kassen führen. Im traditionsreichen System der Krankenversicherung sind zudem systemimmanente Funktions- und Steuerungsmängel nachzuweisen, die es nach Meinung der Jungen Liberalen zu beheben gilt, um Gesundheit wieder bezahlbar zu machen, langfristig und für alle. Hinzu kommt, daß nach Meinung der Jungen Liberalen gesetzliche (GKV), private (PKV) und betriebliche Kassen in einem zu stark beschränktem Wettbewerb zueinander stehen. Dieser Mangel an wirksamen Steuerungsmechanismen für Angebot und Nachfrage begünstigt die Ausgabensteigerung. Die vollzogenen Reformbemühungen im Gesundheitswesen konnten weder die Kosten im Gesundheitssektor dämpfen, noch haben sie für Entspannung gesorgt. Die Instrumente der Gesundheitsreformgesetze reduzieren sich auf eine Symptombehebung, anstatt Systemveränderungen vorzunehmen. Weiter steigende Beitragssätze und planlose Kürzungen innerhalb des bestehenden Systems dokumentieren den bisherigen Verlauf – dies schwächt das Vertrauen der Versicherten in das System. Die Stabilisierungsziele konnten partiell nur erreicht werden durch die Dominanz von Leistungsausschlüssen, Zuzahlungen und einnahmeorientierter Ausgabenpolitik, d.h. auf Kosten der Versicherten. Die Aufkündigung des Solidarprinzips behebt nicht die bestehenden Verunsicherungen sondern schafft neue. Eine Abwälzung des Arbeitgeberanteils zur GKV auf die Arbeitnehmer ist abzulehnen. Ein solcher Schritt entlastet zwar die Arbeitgeber mittelfristig, den Faktor Arbeit jedoch nicht. Es sind demgegenüber sogar weitere Abwanderungen in die Schattenwirtschaft zu befürchten. Solide Gesundheitspolitik muß die Berücksichtigung von Lobbyarbeit außer Acht lassen.


Grundlegende Prinzipien der Jungen Liberalen

  • Wahrung des Solidaritätsprinzips
  • Wettbewerbssteigerung im Gesundheitswesen
  • Orientierung an Grundversorgung und medizinischer Mindestleistung
  • Ausbau des mehrgliedrigen Krankenversicherungssystems
  • Stärkung der Eigenverantwortlichkeit
  • Selbstverwaltung und Verwaltungsabbau
  • Freiberuflichkeit der Gesundheit
  • Freie Arztwahl
  • Solidarität nur bei verantwortungsvollem Umgang mit Gesundheit

Krankheit und ihre Heilung oder Linderung können die materiellen Existenzgrundlagen der einzelnen nachhaltig beeinflussen. Für die Jungen Liberalen bleibt daher unumstößliches politisches Ziel, eine staatliche Garantie medizinischer Mindestversorgung aufrechtzuerhalten. Jedes Mitglied der Solidargemeinschaft muß auch in Zukunft im Bedarfsfall Anspruch auf die medizinisch notwendige Behandlung haben und zwar ohne Rücksicht auf die dadurch entstehenden Kosten. Zugleich jedoch ist in gesellschaftlichem Konsens das Bewußtsein dafür zu schaffen, daß Gesundheit einen Preis hat, daß in der staatlichen Überversorgung mit Gesundheitsgütern Abstriche hinzunehmen sind, um auf diesem Weg die Mindestversorgung langfristig gewährleisten zu können. Dies betrifft alle Sektoren des Gesundheitswesens, den ambulanten und stationären Bereich, den Medikamenten- und Hilfsmittelbereich.

Die Jungen Liberalen vertreten den Standpunkt, daß die entstehenden Kosten im Gesundheitswesen sinken werden, wenn wettbewerbliche Elemente verstärkt Berücksichtigung erfahren. Wettbewerb soll dabei sowohl zwischen den Kassen, privaten wie gesetzlichen, aber auch zwischen den Ärzten gefördert werden. Gesundheit wird in Zukunft verstärkt als ein ,,Gut” zu betrachten sein. Der Erhalt dieses Gutes bedarf in erster Linie der individuellen Pflege. Erst in zweiter Instanz hat der Staat die Aufgabe, dieses individuelle Gut zu erhalten. Keinesfalls darf jedoch die Pflege dieses Gutes dem Staat allein aufgebürdet werden.


Das bestehende System der GKV und seine Steuerungsmängel

Die auch nach dem Gesundheitsreformgesetz 1988 und dem Gesundheitsstrukturgesetz 1992 noch bestehenden wesentlichen Steuerungsmängel der GKV ergeben sich aus der Organisation des Krankenversicherungssystems.

Steuerungsmangel: Preisunabhängigkeit der Nachfrage

Die Versicherten erwerben durch ihre Beitragszahlungen an die Krankenkassen einen Anspruch auf weitgehend unentgeltliche ärztliche und medikamentöse Vollversorgung, Krankenhausleistungen sowie Leistungen für ihre Familienmitglieder im Bedarfsfall. Die Nachfrage nach Gesundheitsgütern ist damit nicht durch Preise reguliert, weder durch Zahlungsbereitschaft noch durch Zahlungsfähigkeit. Dies ist sozialpolitisch gewollt. Niemand soll von Leistungen des Gesundheitssystems wegen zu geringer Kaufkraft ausgeschlossen werden. Problematisch ist die entstehende Übernachfrage, welche aus dem vermeintlich rechtmäßig erworbenen Leistungsanspruch resultiert. Lösungen:

Die stärkere Einbeziehung von Selbstbeteiligungen ist in Betracht zu ziehen. Dabei sind Ausnahmeregelungen für chronisch Kranke zu berücksichtigen. Kostenbewußtsein muß durch Kostentransparenz entwickelt werden. Dies ist durch direkte Rechnungsstellung an den Patienten möglich. Unter den gesetzlichen Kassen ist mehr Wettbewerb zu erzeugen, dabei muß diesen die Möglichkeit einer stärkeren Differenzierung der Beitragssätze und die Gewährung eines je nach Wunsch des Versicherungsnehmers individuell ausgestalteten Versicherungsschutzes gegeben werden.

Steuerungsmangel: Nachfrageinduktion

Die Ärzte bestimmen zugleich Leistungsangebot und Nachfrage. Bei diesen Entscheidungen über ärztliche Dienst- und Sachleistungen spielen Preise keine kontrollierende Rolle. Ärzte beeinflussen durch diese Entscheidung ihr eigenes Einkommen. Verstärkt wird diese zentrale Problematik der wettbewerbsbedingten ausgabenwirksamen Entscheidungen durch das aktuelle Honorierungsverfahren (GOÄ), in dessen Mittelpunkt die Einzelleistungsvergütung steht. Im stationären Bereich wirken Modalitäten der Krankenhausbedarfsplanung kostensteigernd. Das Prinzip der Anpassung der Pflegesätze an die tatsächlichen Kosten führt dazu, daß sie aufgebläht werden. Dies führt zu ökonomisch negativen Steuerungswirkungen im Sinne eines Anreizes zur Verlängerung der Verweildauer bei überhöhter Bettenzahl. Kostenbewußtsein wird nicht entwickelt, da Leistungs- und Kostenstruktur nicht erkennbar und Kostensenkungen für das Krankenhaus nicht lohnend sind und diese oft nur den Kassen zugute kommen. Am Ende steht der Effizienzmangel im Gesundheitswesen. Lösungen:

Der Wettbewerb zwischen den Ärzten muß gefördert werden. Die erneute Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen für Ärzte ist anzustreben. Es muß Ärzten ermöglicht werden, Eigenwerbung zu betreiben. Das Honorierungsverfahren ist zu individualisieren. Direktverhandlungen zwischen Leistungserbringer (Arzt) und Kassen über die Vergütung müssen ermöglicht werden. Kartellösungen, wie die Kassenärztliche Vereinigung, welche von Ärzteseite die Verhandlungen über die Honorierung führt, sind abzulehnen.

Im stationären Bereich ist ein Bonussystem einzuführen, um einen Anreiz zur Vermeidung von Fehlbelegungen zu schaffen. Auf eine weitere Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Verwaltung ist hinzuwirken. An die Stelle des dualen Finanzierungssystems sollte ein monistisches treten, in dem die Krankenhäuser bzw. ihre Träger über die Investitionen selbst entscheiden und z.B. auch Abschreibungen durch Leistungseinnahmen verdient werden müssen.

Steuerungsmangel: Informationsdefizite

Im Gesundheitssektor liegt weitgehendes Marktversagen vor. Neben Wettbewerbsbeschränkungen und externen Effekten zählt hierzu auch die Tatsache, daß die Information der Konsumenten von Gesundheitsgütern über das Produkt, welches sie erwerben, sehr unvollkommen ist. Die Heterogenität der Gesundheitsgüter erschwert darüber hinaus Preis- und Qualitätsvergleiche. Lösungen:

Eigenwerbung von Ärzten muß auch unter dem Aspekt der lnformationsverbreitung zugelassen werden. Als eine unverbindliche Richtlinie für Patienten und Ärzte ist des weiteren eine Empfehlungsliste von Standardmedikamenten zu veröffentlichen, welche von einem unabhängigen Ärztegremium zu erstellen ist. Diese Liste ist ausdrücklich nicht als verbindlich und ausschließlich zu verstehen, sondern soll lediglich der verbesserten Information vor allem der Patienten dienen.


Ein neues Modell

Die Jungen Liberalen verfolgen die Umstellung des Krankenversicherungssystems hin zu einem neuen Versicherungsmodell. Die Intention dieses Modells ist es, eine stärkere Differenzierung durch individuelle Ausgestaltung des Versicherungsschutzes zu ermöglichen.

Die Jungen Liberalen sind davon überzeugt, daß auf diesem Wege auch eine stärkere Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen herbeigeführt wird. Der Solidaritätsgedanke muß dabei erhalten bleiben, um eine Gesundheitsversorgung allein nach finanziellen Möglichkeiten auszuschließen. Neben den bereits aufgeführten Änderungsvorschlägen bezüglich der Rahmenbedingungen, stellen die Jungen Liberalen ein dreistufiges Versicherungssystem vor. Die erste Stufe umfaßt eine genau zu definierende medizinische Mindestversorgung. Der Beitragssatz liegt deutlich unter den heute üblichen in der GKV. Dem Grundbeitrag zur GKV kann sich niemand entziehen.

In einer zweiten Stufe ist die Versicherung bis zu einem weiteren fixen Prozentsatz vom Einkommen ebenfalls zwingend vorgeschrieben, allerdings wird den Versicherungsnehmern freigestellt, ob sie sich dabei bei einer gesetzlichen oder privaten Institution versichern. Darüber hinaus dürfen die Versicherungsnehmer auch innerhalb der GKV, sollten sie sich für eine solche entscheiden, zwischen mehreren differenzierten Produktpaketen wählen.

Diese zweite Stufe soll zum einen gewährleisten, daß die Versicherungsnehmer in ihrer Eigenverantwortlichkeit gestärkt werden, da die Individuen selbst am besten ihre Risikostruktur einschätzen können. Zum anderen muß sichergestellt sein, daß Unterversicherung weitgehend vermieden wird. Die Möglichkeit der Wahl von privaten Anbietern bereits in dieser Stufe soll den Wettbewerb zwischen allen Kassen und damit auch den Leistungsanreiz der GKV stärken. Innerhalb dieser Differenzierungsstufe wäre es z.B. auch möglich, bestimmte Sportarten oder besonders gesundheitsgefährdendes Verhalten abzusichern.

Die dritte Stufe umfaßt wie bisher den Teil der privaten Zusatzversicherung. In unbeschränkter Höhe wird es weiterhin möglich sein, sich gegen bestimmte Sondersituationen abzusichern und bestimmte Gesundheitsleistungen im Bedarfsfall in Anspruch nehmen zu können.

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